Die Studie

»Sacred Fields«

 

von

 

Alexander Stromhausen

 

Roman

 

Copyright © AUH

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved.

2. Auflage: 06/2013

(Erstausgabe 11/2011 als ebook)

 

ISBN-10: 1489510958

ISBN-13: 978-1489510952

 

Als Taschenbuch oder als

ebook erhältlich:

 

http://www.amazon.de/dp/B006F5ZOZU

 

 

 


Prolog

 

 

„Wie viel?“

„Zwanzig US-Dollar!“

„Das ist viel Geld.“

„Du wirst dafür der Erste sein.“

Der Mann überlegte kurz, dann griff er in seine Hosentasche und zog zwei verknüllte Zehner heraus. „Okay; da!“

Der Junge nahm das Geld und steckte es ein. „Hier?“

„Ja, hier; sofort; nun mach schon!“, befahl der Mann. Er fingerte aufgeregt in seinem Piratenbart. In seinem Blick lag die blanke Gier. Mit aufkeimender Lust leckte er sich die Lippen, während sein Schwanz zu einem prallen Kolben wuchs.

Der Junge öffnete den Knopf seiner Hose und ließ sie bis zu den Knien hinabrutschen. Er drehte sich um, beugte sich nach vorne und präsentierte dem Mann seinen blanken Arsch.

 

 

 

1

 

Der Tag war alt in Pakistan. Der Mond strahlte mit seinem kugelrunden Gesicht auf die Erde und schenkte den Bergen und Tälern einen silberleuchtenden Schleier. Ein verspielter Wind scheuchte westwärts kleine Wolken vor sich her, die sich Minuten später zu einem Berg weißer Watte auftürmten. Der funkelnde Sternenhimmel versteckte allmählich seine Diamanten und konnte sich der grauen Dunkelheit nicht länger erwehren. Nur noch am Horizont flirrte das Licht der Straßenlaternen der Stadt Karatschi wie eine pulsierende Glocke bis weit in das Land hinein und schenkte der Nacht noch einen Hauch von Helligkeit.

Ein streunender Köter schlich über die Landstraße. Er schnüffelte über den noch lauen Teer nach überfahrenen Tierkadavern, als sich aus der Ferne die Scheinwerfer eines Autos näherten. Der Köter schaute auf, beobachtete für Sekunden den herannahenden Fremdling, senkte dann wieder belanglos den Kopf, schnüffelte gemächlich weiter nach irgendetwas Fressbarem und verschwand schließlich in der Düsterkeit der Prärie.

Der ins Alter gekommene Blechhaufen schnaufte wie ein überanstrengtes Walross über die Straße. Es war ein VW-Käfer aus den 60ern, der voller Mühe einen kleinen Wohnwagen hinter sich herzog. Nach etwa einem Kilometer bog er rechts auf einen schmalen, geschotterten Weg. Der Fahrer schaltete einen Gang runter und trat das Gaspedal beinahe durch das Bodenblech, um den Wagen eine kleine Anhöhe hinaufzutreiben. Nach einer scharfen Linkskurve wuchsen in der Ferne Lichter wie kleine Stecknadelköpfe gemächlich zu Knöpfen heran. Mit jedem Kilometer trennten sich die skizzenhaften Umrisse deutlicher und erhabener aus der schwarzen Nacht und eine Ansammlung von Behausungen und Türmen formte sich wie stumme Schattengestalten aus der unwirschen Einöde. Es war ein Militärstützpunkt, der weit abgelegen vor der Stadt Karatschi errichtet worden war. Ein etwa drei Meter hoher Zaun grenzte das Gelände ab. Zehn Wachtürme, die mit jeweils zwei bewaffneten Soldaten besetzt waren, sorgten für die Sicherheit rund um das Areal.

An der Eingangspforte unterhielten sich drei Soldaten miteinander, als der VW-Käfer auf sie zufuhr. Ein weiterer Soldat trat hinter dem Wachturm hervor. Er schloss seinen Hosenschlitz, schlenkerte seine Maschinenpistole lässig auf den Rücken und zündete sich eine Zigarette an.

Alles schien ruhig.

Der Fahrer stoppte. Ein junger Mann mit zerzaustem Haar und Piratenbart streckte seinen Kopf aus dem Seitenfenster. Er grinste verschmitzt. „Hallo!“, rief er kurz und winkte mit der Hand.

Die Soldaten öffneten ihm das Tor. Als er an ihnen vorbeifuhr gierten sie durch die hinteren Seitenfenster in den Fond und begannen augenblicklich zu pfeifen und zu grölen. Sie schnalzten mit der Zunge und gaben sich gegenseitig anstößige Fingerzeichen.

Als der Fahrer mit dem Piratenbart seinen gewohnten Platz etwas abseits der Unterkünfte im Schatten der Wachturmscheinwerfer erreicht hatte, parkte er sein Gefährt und würgte den Motor mit einem lauten Knall aus dem Auspuff ab. Er sprang mit einem flinken Satz heraus und öffnete seinem Fahrgast mit charmanter Verneigung die Tür. Eine aufgetakelte Hure mit Strapsbändern und hochgesteckter Frisur kletterte heraus. Sie grinste. Mit kreisender Hüfte stolzierte sie zum Wohnwagen, knipste die rote Innenbeleuchtung an und verweilte für einen Moment am Einstieg. Die ersten Soldaten fanden sich rasch ein.

„Sandro!“, ermahnte sie ihren Fahrer laut und deutlich für jeden hörbar, „Französisch: 25 Dollar; ficki, ficki: 30 Dollar! Keine weiteren Sonderheiten! Und immer nur ein Soldat! Sonst…!“, mit hochgezogener Oberlippe ließ sie ihre Zähne klappern, kreiste obszön einladend mit der Zunge um den Mund und verschwand im Wohnwagen.

„Ihr habt Madame Eleonore gehört! Keine Ausnahmen! Keine Extrawünsche! Sonst beißt sie euer bestes Stück ab!“, leierte Sandro, als er die Geldscheine der Soldaten einsammelte. Und er konnte viele Dollars einsammeln.

Die Soldaten warteten mit angestautem Hochdruck zwischen den Beinen vor dem Wohnwagen bis sie an der Reihe waren. Nach gut viereinhalb Stunden kehrte langsam Ruhe ein. Madame Eleonore bediente ihren letzten Gast und schaffte es mit beruflicher Professionalität und Disziplin, auch aus diesem Herrn noch alles herauszuholen, als wäre er der Erste gewesen.

Sandro schlich währenddessen zappelig auf und ab. Er sah auf seine Armbanduhr. „Fuck!“, fluchte er leise vor sich hin. „Fuck! Fuck! Fuck!“. Fahrig in den Gliedern zündete er sich eine Zigarette an. Er nahm einen tiefen Zug.

Ein untersetzt proportionierter Mann mit der Körperlänge eines Zwerges kam im Gegenlicht der Unterkünfte näher. Sandro blickte angestrengt in die Dunkelheit, doch er konnte nichts erkennen. „Hassan!?“. Er drehte sich im Kreis, ging ein paar Schritte auf den Mann zu, stoppte, nahm einen weiteren, tiefen Zug von seiner Zigarette und starrte mit zirpenden Augenlidern auf die zischende Glut. Mit schlangenfertiger Zunge zischte er so giftig wie erwartungsvoll sein stummes Gegenüber an. „Hassan!? Bist du es!?“

Der Mann hielt inne. Er rollte hastig mit dem Kopf. Mit wendigen Blicken musterte er die Umgebung. Es war alles ruhig im Lager; nur der Wohnwagen begann plötzlich monoton rhythmisch zu quietschen…

„Hassan!? Hassan!?“, flüsterte Sandro nervös.

„Sandro!“, antwortete eine Fistelstimme. „Sandro, hier! Schnell!“. Hassan zog mühevoll eine Holzkiste mit der Aufschrift »Coca-Cola« hinter sich her. Er horchte immer wieder fiebrig in die Dunkelheit. Mit stierenden Augäpfeln suchte er stetig nach unerwünschten Beobachtern.

Sandro rannte ihm entgegen. Mit vereinten Kräften schnappten sie die Kiste und schleppten sie zu seinem Wagen. Da schlug die Haupttüre des Offiziersgebäudes zu. Die beiden schreckten auf. Wie erstarrt verharrten sie geduckt hinter dem Auto und lauschten. Ihr Atem begann zu rasen.

„Hast du etwas gesehen?!“, wisperte Sandro.

„Nein.“

„Scheiße! Lass uns das fuck Ding drehen bevor uns noch so ein verfickter Offizier an den Eiern packt!“

„Fuck! Ja!“

Die Wohnwagentür ging auf und ein Freier kam grinsend heraus. Er blieb stehen, atmete tief die frische Nachtluft und sang fröhlich vor sich hin.

Hassans Muskeln waren vom Gewicht der schweren Last müde geworden. Seine Füße zitterten in der Hocke. Er konnte sich nicht mehr länger halten und knallte mit dem Körper gegen den Wagen.

Der Freier erschrak. Er griff hastig nach seiner Pistole im Gürtelhalfter.

Da stand Sandro blitzschnell auf und zeigte sich ihm. Er streckte sich müde und gähnte mit weit geöffnetem Mund.

Der Soldat erkannte Sandro und lachte. „Du schläfst, während eine Frau für dich das Geld anschafft! Wow, du hast den Dreh raus!“, sagte er bewundernd und ging weiter.

„Ja… genau! Schließlich bin ich der Mann!“, rief Sandro ihm hinterher. Als er ihn nicht mehr sehen konnte, öffnete er rasch die Vorderhaube seines VW-Käfers. „Schnell!“. Sie tauschten die schwere Holzkiste mit einer identischen aus und drückten das Schloss der Vorderhaube wieder leise zu.

„Was tun Sie hier!?“

Sandro und Hassan erschraken bis ins Gebein. Das Blut war augenblicklich aus ihren Gesichtern gewichen. Sie sahen sich aus den Augenwinkeln heraus an, atmeten rhythmisch flach im Gleichtakt, dann drehten sie sich wie in Zeitlupe um. Vor ihnen stand der wachhabende Offizier und bedrohte sie mit seinem Gewehr.

Hassan räusperte sich. Er trat einen Schritt vor und flüsterte, indem er immer wieder auf das Offiziersgebäude deutete: „Der Oberst hat am Montag Geburtstag. Da habe ich ihm eine Kiste Coca-Cola besorgt. Die trinkt er doch so gerne.“

„Aufmachen!“, befahl der Offizier.

Sandro zögerte, doch er wusste er hatte keine Wahl. Er konnte die Angst deutlich fühlen, die durch seinen Körper jagte. Vorsichtig öffnete er die Scharniere der Kiste.

„Nicht weiter!“, befahl der Offizier. „Treten Sie zurück!“. Er beugte sich etwas in die Knie. Mit dem Gewehrlauf stieß er den Deckel zur Seite. Immer ein Auge auf Hassan und Sandro gerichtet löste er für einen eiligen Moment seinen Blick und sah so erwartungsvoll wie auch überrascht in die Kiste. Eingebettet in Stroh lagen sechs Flaschen Coca-Cola und eine Flasche Jack Daniels Whiskey. Der Offizier nickte mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Whiskey! – Werde ich zu dieser Feier auch eingeladen?!“, fragte er bestimmend.

„Selbstverständlich...“, antwortete Hassan unterwürfig, „Sie sind herzlich eingeladen.“

„Gut! Dann bis Montag!“.

Die Wohnwagentür ging auf. Madame Eleonore knipste das rote Innenlicht aus und kam heraus. Sie spuckte einen (Kau-) Gummi aus und stöhnte völlig ausgepowert vor sich hin.

Der Offizier lachte laut. „Soldaten sind ein gutes Geschäft!“, dann wandte er sich wieder ab und ging weiter seinen Weg.

„Ja… und ich bin der Mann!“, rief Sandro ihm hinterher.

„Wer ist ein Mann? Du etwa?“, fragte Madame Eleonore mürrisch. „Erzähle hier keine Geschichten und steige ein.“. Sie zog den Mini-Minirock mit einem Griff in die Hüfte und kletterte breitbeinig wie eine Froschdame in den Fond des kleinen VW-Käfers.

„Mein Auftraggeber hat mir für dich keine Dollars gegeben.“, flüsterte Sandro Hassan zu.

„Ich will meine Dollars!“, giftete dieser sichtlich wütend zurück. Er ballte seine Hand zur Faust und hielt sie Sandro unter die Nase. „Wenn ich meine Dollars nicht bekomme, dann werde ich dir schon zeigen wie man Geschäfte macht!“

„Du bekommst ja die Kohle. Ich werde morgen die Ware verkaufen und beim nächsten Mal bringe ich dir deine Dollars mit.“

Hassan kam Sandro so nah an dessen Gesicht heran, dass sein heißer Atem als eine feuerzüngige Beteuerung seiner Worte keinen Zweifel offen ließ. „Wenn du mich anschmieren willst, dann werde ich dir deine verfickte Kehle durchschneiden!“

„Sandro, beweg endlich deinen Hintern; ich will fahren!“, schnaubte Madame Eleonore aus dem Seitenfenster.

„Hast du das kapiert!?“, zischte Hassan.

„Du wirst deine Dollars bekommen, jeden einzelnen.“. Sandro stieg in seinen Käfer und startete den Motor; dieser klopfte und ratterte los wie eine alte Kettensäge, die jemand versehentlich mit Diesel getankt hatte. „Versprochen! Du bekommst nächste Woche jeden einzelnen Dollar. Dafür stehe ich mit meiner Ehre und mit dem Leben meiner Mutter.“

„Deine Mutter interessiert mich nicht. Dein Hals ist mir Pfand genug!“

Sandro nickte eilend und lächelte dabei mit seinen kariestoten Zähnen so verkniffen, als hätte er eine Handgranate in den Arsch gesteckt bekommen, deren Sicherheitsbügel sich mit jeder Bewegung seines Hinterteils würde lösen können. Mit einem letzten Knall aus dem Auspuff lenkte Sandro das klappernde Wagengespann aus dem Militärstützpunkt und fuhr zurück nach Karatschi.

 

Karatschi, eine der größten Städte der Welt, pulsierte in dieser Nacht wie eh und je. Motorräder heulten wild durch die Straßen. Taxis waren auf der Suche nach betrunkenen Touristen. Eine vierköpfige Bande zehnjähriger Jungs mit italienischem Blut in den Adern rauchte verdeckt zwischen den verrußten Mauern der ausgebrannten Ruine der »Gesellschaft für religiöse Kommunikation« einen Joint und fühlte sich stark. Ein paar Häuserblocks weiter wurde im Jahre 2003 das al-Qaida-Mitglied Tawafiq bin Attash verhaftet. Viele Terroristen hatten in Karatschi ihre Basis aufgeschlagen, um mit militanter Gewalt gegen die Ausländer der ca. 10 Millionen Einwohner Stadt vorzugehen. Karatschi war in den Jahren ein guter Übungsplatz für den Krieg in der Welt geworden.

Es war viertel vor fünf, als Sandro Madame Eleonore zu Hause abgesetzt hatte. In einem alten Hinterhof in den Immigranten-Slums von Karatschi koppelte er den Wohnwagen von seinem VW-Käfer und deckte ihn mit einer Plane sorgfältig ab.

Sandro, ein Pakistani mit italienisch-sizilianischer Abstammung, war seit seiner Geburt in den Slums der Vorstadt zu Hause. Von seinem Fenster aus im siebten Stock konnte er die mächtigen Kühltürme des Atomkraftwerkes dampfen sehen. Sandro bewunderte die faszinierende Technik der westlichen Welt für die gewaltige Stromgewinnung. Doch er wusste ebenso, dass dieselbe atomare Kraft für den Kampf gegen Feinde die tödlichste Waffe der Menschheit darstellte.

In den Slums zählte nur das schnelle Geld zum Überleben. Viele Kleinganoven hatten Bedenken gegenüber Geschäften, die mit Entführung und gar Mord zu tun hatten. Das Geschäft mit Sex galt unter den Nicht-Muslimen als die sauberste Methode, um an Dollars ranzukommen. Die Prostitution war offiziell verboten, doch in großen Städten wie Karatschi ein wachsendes Phänomen und so versuchten viele, in diesem Milieu Fuß zu fassen; so auch Sandro. Doch als eines Nachts ein mit Heroin vollgedröhnter Nigerianer Sandro die Hureneinnahmen rauben wollte, da war er ausgerastet und hatte ihm im Kampf Mann gegen Mann ein Messer in den Bauch gerammt. Notwehr oder Mord – in den Slums war dies egal, es zählte einzig das eigene Leben. Sandro wurde in dieser Stunde zum Töten verdammt und er wollte sich seitdem keine Moral mehr leisten. So hatte er beschlossen, seine Geschäfte auf Militärschmuggel auszudehnen.

Eine streunende Katze schlich um die Mülltonnen und suchte nach Essensresten. Sie stellte ihren Schwanz, schnüffelte sich durch die herumliegenden Abfälle, während sie immer wieder innehielt, ihren Kopf hob und für kleine Momente den merkwürdigen Mann mit Piratenbart aufmerksam bei seinem regen Treiben beobachtete.

Sandro nahm ein fingerdickes Seil, führte es durch die Ösen der Plane und verschnürte den Wohnwagen zu einem sicheren Bündel.

Auf der Straße parkte zornig ein Toyota-Geländewagen, dass die Reifen mit einem knappen Quietschen protestierten. Zwei Männer mit übergezogenen Sturmhauben und in schwarze Umhänge gehüllt sprangen heraus. Mit Maschinengewehren im Anschlag rannten sie in den Hinterhof.

Sandro schreckte auf.

 „Wo ist die Kiste!?“, schrie einer der Vermummten, während der andere mit seinem Gewehr auf Sandros Kopf zielte.

„Ahmed?“, fragte Sandro wirr. „Das bis doch du!? Ahmed, deine Stimme! Unser Geschäft…?!“

„Schluss jetzt! Wo ist die Kiste!? Wo ist die Kiste!? – Sag schon!“

„Im Wagen.“, antwortete Sandro.

Der andere Vermummte rannte zur Vorderhaube des Käfers, öffnete sie und sah die Kiste. Er stieß hastig den Deckel auf, checkte den Inhalt und nickte seinem Freund zu.

„Ahmed! Was… was soll das!? Ich… ich verstehe das nicht! Wir hatten doch immer gute… gute Geschäfte…!“, stotterte Sandro mit der Angst eines kleinen Jungen im Nacken.

„Allah verbietet die Prostitution! Darauf steht der Tod!“

„Was…was laberst du da? Du hast doch Madame Eleonore selbst schon gefi…“

Schüsse hallten durch die Nacht.

„Du Schwein hast meinen Neffen gefickt!“

„Aber… ich… ihn… bezahlt…“, verstummten Sandros Worte wie holpriges Geflüster. Seine Lunge flehte in schnellen Stößen nach Sauerstoff, doch das Blut quoll wie Pudding aus seinem Leib. Er verdrehte seine Augen soweit nach oben weg, dass die Iris in den Augenhöhlen verschwand und nur noch das Augenweiß vergeblich nach Licht haschte. Dann fiel Sandro kopfüber auf die Erde und war tot.

Die beiden Mörder griffen sich eilends die Holzkiste, luden sie in ihren Wagen und rasten mit qualmenden Reifen davon.

 

 

 

2

 

Jerusalem; ein Tag später.

 

Nicole atmete angewidert. Ein schweres Geruchsgeschwader von Desinfektionsmittel, Anabolika und anderen undefinierbaren Substanzen lag wie ein undurchdringbarer Nebel in der Luft. Nicole vermutete, dass der eklige Gestank das komplette Spektrum der Chemie widerspiegelte. „Ich glaube es ist völlig egal in welchem Krankenhaus man sich befindet, der Geruch ist immer derselbe.“, sagte sie leicht verstimmt. „Ich kann diese Luft einfach nicht ab haben!“

„Zum Glück der Ärzte und deren Patienten kann die menschliche Nase nur zirka zwanzig Sekunden einen Geruch wahrnehmen. Ich denke, sonst würde sich hier keiner den ganzen Tag rumtreiben. So krank kann keiner sein.“, antwortete Peter.

„Der Kerl hat immer noch nicht angerufen! Glaubst du, er wird sich melden?“

„Ich hoffe es. Ohne dem hohen Tier von der Hamas gibt es kein Interview und ohne Interview keine Story. Und ohne Story stehen wir beim Sender ziemlich blöd da.“. Peter zuckte mit den Achseln. „Na ja, eigentlich ist es ja deine Story und du stehst blöd da, so vor der Kamera ohne Interviewpartner. Blöd.“

„Es ist unsere Story. Wir sind ein Team. Und wenn von den Herren der Hamas keiner mit uns reden will, dann stehen wir beide ziemlich blöd da, kapitsche!?“, nickte Nicole harsch.

„Hey, ich bin nur der Kameramann, dein persönlicher Knecht, der dir auf Schritt und Tritt hinterherläuft und dich nur im besten Licht ins Fernsehen bringt.“, schäkerte Peter und schnalzte mit der Zunge. „Mich sieht hinter der Kamera keiner grinsen, wenn du vor der Kamera Selbstgespräche führst.“

„Spinner. Er wird sich melden; das sagt mir mein Gefühl; ganz bestimmt.“. Nicole drehte ungeduldig das Mikrofon in ihren Händen. Das wird schon klappen. dachte sie zuversichtlich. Mit versonnenem Blick schaute sie aus dem Fenster und beobachtete, wie sich eine eher karg gewachsene Palme in der Sonne rösten ließ. „Puhhhhh…“. Nicole blies ihren heißen Atem langsam durch ihren Spitzmund und genoss es in diesem Moment besser drinnen wie draußen zu sitzen. Die Klimaanlage surrte monoton vor sich hin und blies eine angenehme Kühle in den Besucherraum des Hadassah Krankenhauses. Die »Oase des Friedens« am Hügel En Kerems am Rande von Jerusalem gelegen, schien all die politischen und kriegerischen Auseinandersetzungen zu absorbieren. Politik war innerhalb des Gemäuers kein erwünschtes Gesprächsthema. Sei es der angesehene, jüdische Chirurg Prof. Dr. Ben Rosenthal, wie auch der für die Sauberkeit der Räumlichkeiten zuständige Palästinenser Ali Dahlan, der jeden Morgen aus dem von den Israelis besetzten, östlichen Teil von Jerusalem zu seiner Arbeit pendelte – jeder von all den beschäftigten Juden, Christen, Moslems sowie Araber gaben zu Arbeitsbeginn ihre Gesinnung an der Pforte ab. Sechstausend Mitarbeiter machten in den einhundertdreißig Abteilungen einen hervorragenden Job im Dienste der Gesundheit für wirklich Jedermann. Und es war ihnen bei der Behandlung der Patienten egal, ob er Ariel Sharon hieß und zu seiner Zeit Ministerpräsident von Israel war oder ob der Verwundete eine Kugel von einer Schießerei zwischen den Rippen hatte und in seinem Schmerz zu Allah betete.

„Hier drinnen im Krankenhaus scheint der Friede zwischen den rivalisierenden Gruppen zu funktionieren.“, staunte Nicole über die Ruhe, die sich ihr eröffnete. „Draußen auf den Straßen schießen sie sich gegenseitig nieder und hier werden sie alle wieder zusammengeflickt. Keiner hier drinnen interessiert sich für den Pass oder die Religion des Patienten. Seltsam wie so etwas gehen kann.“

„Die Menschen konzentrieren sich einzig und allein auf ihre Arbeit.“, antwortete Peter. „Wenn Politik und Religion in den Köpfen der Menschen für einen Tag lang ausgeschaltet werden würden, dann könnten sie für den Frieden und das Wohl ihrer Selbst und das ihrer Kinder Enormes bewirken. Doch die Menschen wollen es nicht begreifen. Ich glaube, sie sind einfach zu dumm dafür.“

„Ja.“, nickte Nicole müde. „Jetzt warten wir schon über eine halbe Stunde. Ich hätte nichts dagegen, wenn unsere frischgebackene Mama endlich zum Interview erscheinen würde.“

In dem Moment ging die Tür auf. Eine alte Dame kam von einer Schwester an der Hand geführt in das Zimmer, doch als sie Nicole mit dem Mikrofon und Peter mit der Schulterkamera sitzen sah, winkte sie hektisch ab, stammelte „No, no, no!“ und machte sofort wieder kehrt.

„Ich glaube, das war sie nicht.“, scherzte Peter mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

„Na ja... nur gut, dass wir keine Live-Sendung moderieren müssen. Da würden wir echt schlecht aussehen.“, seufzte Nicole.

Ein lautes Scheppern ließ die Tür erzittern. Jemand versuchte sie zu öffnen, doch offensichtlich mit mäßigem Erfolg dafür mit greller Begleitmusik. Ein Baby schrie.

„Das muss sie jetzt aber sein.“. Nicole sprang von ihrem Stuhl auf und öffnete die Tür.

Eine Frau, eingehüllt in eine schwarze Abbaja1, hatte vergebens versucht, die kranken­hauseigene Wiege in das Zimmer zu schieben.

„Warten Sie, ich helfe Ihnen.“

„Danke.“

„Sind Sie Frau Shihri?“, fragte Nicole.

 „Ja, ich bin Haurah Shihri.“, antwortete sie freundlich. „Herr Madawi sagte mir, dass Sie gerne mit mir sprechen wollen.“

„Herr Madawi ist unser Kontaktvermittler und Dolmetscher vor Ort. Wir produzieren für das deutsche Fernsehen eine Reportage über das Leben im Heiligen Land. Wir wollten auch gerne mit Ihnen darüber reden. Wäre das für Sie okay?“

„Ja. Sie dürfen nur nicht meinen Namen nennen.“, erklärte Frau Shihri ihre einzige Bedingung.

Nicole nickte. „Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. In unserer Reportage werden Sie nicht zu identifizieren sein.“

Das Baby schrie noch immer aus vollen Lungen. Mit einem leuchtend roten Kopf und rasend lauter Sirene machte es seine Umgebung unmissverständlich darauf aufmerksam »Hey hallo, hier ist jemand, der einen großen Hunger hat!«

Haurah Shihri nahm ihr Baby aus der Wiege und wippte es sanft im Arm. Sie küsste das Kleine auf die Wange. „Sie meint sie hat noch Hunger, obwohl ich sie gerade erst gestillt habe. Dabei hat sie genug bekommen. Das ist auch der Grund, weshalb ich Sie warten lassen musste; das tut mir Leid.“

„Schon gut; das macht nichts.“, antwortete Nicole. Mit einer flinken Handbewegung forderte sie Peter dazu auf, die Kamera einzuschalten und zu filmen. „Ein Mädchen?“

„Ja. Sie heißt Acelya. Das bedeutet im Arabischen »von guten Eltern«.“

„Die hat sie ganz bestimmt. Sie ist süß.“

„Allah hat uns zwar keinen Jungen geschenkt, aber Allah hat uns ein gesundes Mädchen in Obhut gegeben. Mein Mann und ich sind darüber sehr glücklich.“, erwiderte Frau Shihri mit fester Stimme.

Nicole schluckte ihre aufkeimende Verwunderung über den Anflug von Antifeminismus aus dem Mund einer jungen Mutter ohne jeglichen Kommentar. Aus ihren Recherchen, die sie vor ihrer Reise in den Nahen Osten getätigt hatte, wusste sie, dass bei vielen arabischen Eltern zunächst einmal der Wunsch nach einem Jungen bestand und ein Mädchen eher als zweitwertig eingestuft wurde. Auch wenn man es nicht immer versteht, die Menschen sind verschieden und Nicole versuchte das stumm zu akzeptieren. Sie wollte keine Diskrepanz entstehen lassen, die das weitere Gespräch hätte beeinträchtigen können. Bei Interviews war nicht ihre persönliche Meinung gefragt, es war vielmehr wichtig, den Befragten manipulationslos die Worte aus dem Munde fließen zu lassen.

„Wollen wir das Interview im Sitzen führen?“

„Ja; Bitte. Wenn Sie mir nur eine Minute geben, Acelya wird gleich schlafen.“, antwortete Frau Shihri. Mit federnden Schritten durchkreuzte sie den Besuchsraum, bis die Kleine die Kehlensirene verstummen ließ, um wenige Augenblicke später auch schon das Reich der Träume zu besuchen. Die noch junge Mutter legte Acelya vorsichtig in die Wiege. „Sie wird jetzt schlafen. Unsere Worte werden sie davon nicht abhalten.“, sprach sie und wippte sanft die Wiege auf und ab.

„Darf ich fragen, wie alt Sie sind?“

„Ich bin siebzehn Jahre alt.“

„Wo haben Sie so gut Deutsch gelernt?“

„Als wir noch klein waren hat mein Großvater meinen Brüdern viel von der Deutschen Geschichte erzählt. Da hatte ich jedes Mal gespannt zugehört. Ich bewundere Ihr Volk. Es hat Großes geleistet. Ich wollte… nein ich musste von da an unbedingt Ihre Sprache lernen.“, und wie die Worte aus ihrem Mund sprudelten, lächelte sie so herzig fromm, als ob ihre Seele vor Freude tanzen würde. „Ist Adolf Hitler immer noch ihr König? Geht es ihm gut?“

„Nein.“. Nicoles Stimme strauchelte. „Nein, er ist längst tot.“

„Das tut mir Leid.“, bekundete Frau Shihri ihr Mitgefühl. „Er war ein großartiger Mann. Er hat gegen die Juden gekämpft und viele von ihnen getötet. Solche Männer gibt es in Europa nicht mehr viele. Die Amerikaner haben mit ihren Dollars vieles zerstört.“

Nicole zupfte ihr Kopftuch zurecht, doch ihre lange, blonde Lockenmähne konnte sie einfach nicht verstecken. Sie blinzelte verdrossen mit ihren blauen Augen, die wie zwei leuchtende Tintenkleckse in ihrem schlanken Gesicht die deutsche Herkunft nuancierten. „Okay.“. Nicole schlug ihre Beine übereinander, setzte sich aufrecht hin und versuchte ein weiteres Mal mehr die Worte ihrer Interviewpartnerin an sich abtropfen zu lassen. „Frau Shihri, Sie sind Palästinenserin, wohnen eigentlich in Gaza-Stadt, sind bekennende Muslimin und dennoch haben Sie sich dazu entschlossen, ihr Kind in einem jüdischen Krankenhaus zu entbinden. Wie würden Sie ihr persönliches Verhältnis zur jüdischen Bevölkerung beschreiben?“

„Die Juden haben uns beraubt. Jerusalem ist die Hauptstadt von Palästina.“

„Das wurde von den Vereinten Nationen nie anerkannt.“, setzte Nicole dagegen. „Genauso wenig, wie das Jerusalemgesetz von 1980 der Israelis, die darin Jerusalem ebenfalls für sich als Hauptstadt einfordern.“

„Unser damaliger Präsident Jassir Arafat hat 1988 Jerusalem zur Hauptstadt von Palästina erklärt. Wir Palästinenser haben einen Staat und den lassen wir uns von niemanden und von keiner Nation dieser Erde mehr wegnehmen!“. Die kindliche Mutter wirkte mehr und mehr gereizt. Mit zackigen Armbewegungen unterstrich sie unmissverständlich ihre Worte. Und wie ihre schwarze Abbaja durch die Luft fledderte, kam Nicole das Sinnbild eines Trauerflors in Gedanken. Sie musste urplötzlich an die Tausenden von Toten denken, die der unermüdliche Hass über die Generationen hinweg bereits gefordert hatte. Shihris rundlicher Körper badete unterdessen in einem tosenden Fluss hitziger Redeparolen, während die kleine Acelya seelenruhig in ihrer Wiege schlummerte. „Juden sind Dämonen! Diese Teufel haben auch euren Jesus verraten und ihn an das Kreuz nageln lassen!“. Die Hitze in ihrem Kopf schoss mehr und mehr in die Höhe. „Juden sind Lügner! Sie töten unsere Kinder! Juden gehören überall auf der Welt gejagt und getötet, so wie es euer Adolf Hitler getan hatte. Mein Volk wird für die Wahrheit und für den Sieg über Israel sein Leben lassen! Allah wird uns beistehen!“

„Aber wenn Sie so voller Feindschaft gegenüber den Juden sind, wieso haben Sie dann in einem jüdischen Krankenhaus ihr Kind auf die Welt gebracht?“, fragte Nicole verwundert.

„Die Juden haben viele unserer Ärzte getötet. Es ist Allahs Wille, dass deshalb die Feinde Palästinas ihre eigenen, zukünftigen Feinde auf die Welt bringen!“. Frau Shihri spuckte Speichel. Sie atmete in kurzen Stößen, während ihre Nasenflügel wild auf und nieder flatterten. „Allâhu Akbar! Allah ist groß!“, stieß sie laut aus.

Die kleine Acelya begann augenblicklich mit dem Kopf zu schütteln, als sie zeitgleich die Augen zu Hautfalten presste, mit einem tiefen Atemzug nach Sauerstoff lechzte, um in Bruchteilen einer Sekunde schrill loszuschreien. Die junge Mutter sprach in arabischem Gemurmel auf ihr Baby ein, doch es mochte nichts nützen; es schien die aufgebrachte Stimmung zu fühlen.

„Noch eine Frage.“. Nicole versuchte mit ruhiger Körperhaltung Gelassenheit auszustrahlen. „Die Behandlung in diesem Krankenhaus ist sehr teuer. Wer bezahlt Ihren Aufenthalt?“ fragte sie mit ausgestrecktem Mikrophon.

Frau Shihri schüttelte den Kopf. „Geld! Im Westen dreht sich alles nur um das Geld!“, rief sie zornig.

„Aber jemand muss doch für Ihre Entbindung bezahlen.“, setzte Nicole energisch nach. „Wer bezahlt für Sie die Rechnung?“

„Allâhu Akbar! Allâhu Akbar!“, tobte Frau Shihri voll blanker Wut. Sie fauchte mit erhobenem Zeigefinger unmissverständliche, arabische Zungenschwadronen, griff bärbeißig wie eine aufgescheuchte Furie nach der Wiege ihrer Tochter, riss die Tür auf und stürzte aus dem Zimmer.

Peter filmte die erbosten Schritte der Kindmutter, wie sie über den Flur flog, um wenig später hinter einer Ecke zu verschwinden. Er ließ die Kamera noch ein paar Sekunden laufen, ehe er sie abschaltete.

„Ich denke nicht, dass diese Frau ihre Tochter für den Frieden erziehen wird.“, sagte er mit belegter Stimme. Er räusperte sich. „Die hat bestimmt kein Abitur… Sollen wir dieses Interview überhaupt in unsere Reportage einbinden?“

„Warum nicht? So denken eben manche Menschen, die hier leben. Abitur können auch nicht alle haben. Doch dieses Interview gibt vielleicht ein kleines bisschen Aufschluss darüber, warum die Menschen ebenso sind wie sie sind. Man kann diese Leute erst in ihrem Handeln verstehen, wenn man versucht, ihre Gedanken zu verstehen und dazu ist es wichtig, ihnen zuzuhören und ihre Worte ernst zu nehmen. Weißt du…“, nickte Nicole selbstironisch und dachte dabei an ihr eigenes Deutschland, „…gerade vermeintlich dumme Menschen sind in der Lage verheerendes Unheil anzurichten.“

„Tja…“, stimmte Peter ihr nur leise zu.

„Der Grund für unsere Reportage ist doch: Wir wollen die Menschen so zeigen wie sie sind. Schließlich ist dieses Interview als eines von vielen zu sehen. Das wird im Gesamtbericht untergehen.“, redete Nicole mit dem sachlichen Verstand einer Reporterin, als Madawi den Flur entlang gerannt kam.

„Es ist soweit!“, rief er aufgeregt. Sein halb glatziger Kopf leuchtete wie eine rote Warnlampe, während er mit beiden Händen zu verhindern versuchte, dass bei seinen hektischen Schritten seine Krawatte nicht in sein Gesicht flatterte. „Sie haben sich gemeldet!“

„Wann ist es soweit!?“, gurrte Nicole erwartungsvoll. „Nun sagen Sie schon!“

„Sofort!“. Madawi keuchte, alsdann sich seine Gesichtszüge plötzlich versteiften. Er blickte Nicole mit seinen dunkelbraunen Augen beinahe bettelnd an. Seine Hände zitterten. Er griff in die Hosentasche seiner blauen Jeans, holte ein Taschentuch hervor und wischte sich den Schweiß aus dem Genick. Mit tiefen Atemzügen versuchte er sein erhitztes Gemüt zu beruhigen. „Hören Sie Frau Hauser, dieser Mann ist ein Verbrecher! Ich möchte Ihnen von diesem Treffen noch einmal abraten! Es wird nicht gut werden!“, flehte er eindringlich. „Es wird nicht gut werden! Bitte hören Sie auf mich und gehen Sie dort nicht hin!“

 

 

 

3

 

Der ein Meter lange Schulterdecker schnurrte in weiten Kreisen über den Himmel. Als das Flugzeug in einer Spirale der Erde zustürzte, um in knapp zwei Metern Resthöhe mit einem dumpfen Motorenbrüllen in einer engen Schlaufe dem Zerschnellen zu entgehen, vernebelte der Wüstensand für einen Augenblick den Horizont. Dann erschien sie wieder, die Grazie am Himmel. Sie winkte mit den Flügeln und schien stolz mit ihrem Frontpropeller zu lächeln. Das Modell war ein perfekter Nachbau der legendären Ryan NYP, der »Spirit of St. Louis«, mit der Charles Lindbergh am 20. Mai 1927 nonstop von New York nach Paris flog.

„Umar!“. Ein Mann kam rasch näher. „Umar!“

Umar Ghamdi steuerte den Schulterdecker mit geübten Fingern per Fernsteuerung durch die heiße Wüstenluft. Einem Looping folgte ein Schraubenflug, ein Senkrechtstart, dann wieder ein langer Bogen weit oben im tiefen Himmelblau über Ramallah.

Ramallah (was frei übersetzt »Gotteshügel« bedeutet) war eine kleine Stadt mit gerade mal 57.000 Einwohnern, etwa fünfzehn Kilometer nordwestlich von Jerusalem gelegen, in den Hügeln Zentralpalästinas. Jassir Arafat, der ehemalige Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, fand in den Mauern seine letzte Ruhestätte.

Keine fünf Kilometer nördlich von Ramallah existierte eine kleine Siedlung von siebzehn Häusern, die dem Zerfall nahe waren. Nicht einmal mehr die Hälfte der Behausungen wurde bewohnt. Der Boden der sogenannten »West Bank« war dürr, die Armut groß und die Möglichkeiten der Menschen durch die triste Lage aussichtslos.

„Umar, wir haben ihn.“. Massud schritt stolz über die Terrasse der alten Steinvilla. Er blieb in gebührendem Abstand von Umar Ghamdi entfernt stehen. Sein Blick schien starr unter den buschig schwarzen Augenbrauen. Die vernarbte Aknehaut zog sich wie ein Furchenteppich vom graumelierten Bartansatz bis über seine langgezogene Stirn, ehe sein Haupthaar den Anschluss fand und den Rest des Kopfes wie eine zottelig ungepflegte Mütze verdeckte. Aus der wulstigen Nase wucherten unzählige Haare, die sich jedoch in den halslangen Bart verwuchsen. „Ich habe ihn herbringen lassen.“, sagte Massud mit dunkler Stimme.

Ghamdi ließ seinen Flieger nicht aus den Augen. Den Blick fest an den Rumpf fixiert lenkte er die »Spirit of St. Louis« in die Rückenlage und flog dicht an ihren Köpfen vorbei. Keiner von den beiden Männern zuckte auch nur mit den Wimpern, als die Flügel an ihnen vorüberhauchten.

„Weiß er schon, dass wir es bereits wissen?“, fragte Ghamdi mit eisiger Stimme.

„Nein, er hat keine Ahnung, weshalb er aus dem Camp abgezogen wurde.“, versicherte Massud.

„Bring ihn her!“, befahl Ghamdi regungslos. Er beobachtete die »Spirit of St. Louis« mit der Konzentration eines Löwen und steuerte sie in den Tiefflug.

Massud winkte seinem Freund Saddam zu, der am Terrasseneingang wartete. Dieser nickte und verschwand für einen kurzen Augenblick in der alten Steinvilla, ehe er in Begleitung eines schmächtigen Mannes wieder erschien. Saddam rempelte ihn an der Schulter aus dem Haus, hieß ihn mit gestrecktem Arm zum Gehen an und versperrte ihm mit seinem breiten Oberkörper den Rückweg.

„Hierher!“, befahl Massud. „Mr. Ghamdi möchte mit dir reden!“

Wie ein windiger Wurm schlängelte der schmächtige Mann zu ihnen hinüber. Sein verschmutztes Gewand zeugte von Armut. Seine schweißigen Körperausdünstungen hüllten ihn in eine stinkende Wolke. Seine Augenhöhlen waren tief eingefallen; die Wangen nichts weiter als ein Überzug von brauner Lederhaut auf den hervorstehenden Knochen. Einzig sein Vollbart war gleichmäßig geschnitten. Der Mann zitterte, während seine Augen wie die eines Adlers jegliche Bewegungen aufmerksam aufzusaugen bereit waren.

Die »Spirit of St. Louis« toste durch die Winde. Mit schneller Geschwindigkeit schoss sie auf den Mann zu. Als der Frontpropeller wie eine Schraube auf sein Gesicht zuraste, fiel er auf die Knie, ehe das Flugzeug eine Handbreit später im Steilflug wieder in den Himmel schoss. Der Mann stieß einen gellenden Schrei aus, kroch zu Ghamdis Füßen und küsste sie. „Allâhu Akbar! Allâhu Akbar!“, rief er immer wieder zwischen den Küssen. „Allâhu Akbar! Allâhu Akbar!“

Ghamdi stand wie ein Fels: breitbeinig stark, mit weißem Kurzarmhemd, dunkelbrauner Anzughose und edlen Lederslippern bekleidet. Seine Oberarme waren muskulös trainiert. Seine Brust pumpte in langen Atemzügen den Sauerstoff geruhsam durch seine Adern. Schwarze Haare ohne Grauansatz überzogen sein Gesicht vom Vollbart bis in den Nacken wie wohlgepflegter Hermelin. Seine Augen schützte er unter einer Sonnenbrille, während seine knorpelige Nase diese wie eine Heftklammer festhielt.

„Man hat in deinen Taschen amerikanische Dollars gefunden!“, zischte Ghamdi zornig.

„Nein! Nein!“, quietschte der Mann aus seiner Kehle, während er mit hektisch abwinkenden Händen seine Unschuld beteuerte. „Ich habe nichts getan! Nein! Das müssen Sie mir glauben!“

„Woher hast du sie?!“

„Ich bin unschuldig! Bitte glauben Sie mir!“, flehte der Mann. „Allâhu Akbar! Allah soll mein Zeuge sein!“

Massud griff in seine Hosentasche und warf ihm ein abgegriffenes Stoffsäckchen vor die Füße. „Das war in deiner Tasche! Leugne nicht! Ich habe es dort selbst gefunden!“

„Ah, ja! Das meint Ihr! Das… das habe ich… auch gefunden!“, stotterte er. „Ein toter Soldat! Ich habe es einem toten, amerikanischen Soldaten abgenommen!“

„Unfug!“, rief Massud. „Er lügt wie ein Ungläubiger!“

„Nein, ich sage die Wahrheit!“. Der Mann rutschte auf den Knien über die sandigen Steinplatten, während er mit offenen Händen Allah im Himmel um Hilfe bat. „Allah möge mir mein erbärmliches Leben nehmen, wenn ich nicht die Wahrheit sage! Der Soldat war schon tot! Er brauchte die Dollars nicht mehr! Ich schon; ich habe zwei Frauen und fünf Kinder! Die wollen jeden Tag essen und trinken! Sie müssen mir glauben!“

„Ich habe nichts von einem toten US-Soldaten gehört!“, schnaubte Massud.

„Der amerikanische Soldat lag tot im Straßengraben! Es war…“

„Schluss!“, brüllte Ghamdi. „Du arbeitest für die CIA! Und ich will wissen, was du ihnen gesagt hast!“

Massud zog seine Pistole aus dem Halfter.

„Nein! Nein!“, stammelte der Mann. Er stand rasch auf und klopfte sich mit der flachen Hand mehrmals auf die Brust. „Ich bin Ihnen ein treuer Mann! Ich habe nicht für die ungläubigen Feinde Allahs spioniert! Ich möchte eher sterben, als dass ich den Amerikanern, den Teufeln aus dem Westen auch nur ein Wort verraten würde! Ich spucke auf den Feind! Puh! Puh!“. Dann begann der Mann zu weinen. „Bitte! Bitte! Ich flehe Sie im Namen Allahs an: Verschonen Sie mein Leben!“, keuchte er. „Allâhu Akbar! Allâhu Akbar!“

„Renne!“, befahl ihm Ghamdi.

„Wie? Was?“

„Los, renne!“

Der Mann schaute verstört; sein Blick pendelte hektisch zwischen Ghamdis und Massuds Gesicht hin und her. Massud zeigte mit einem Wink seiner Pistole hinaus in die Einöde. Der Mann begann augenblicklich kurz zu atmen. Seine Haut transpirierte den Schweiß in Sekundenschnelle aus seinem Körper und tränkte sein Gewand in triefendes Nass. In einer über ihn kommenden Panikattacke sprang er plötzlich auf und lief los. Er wollte schreien, Allah um Hilfe anflehen, doch seine Kehle war wie zugeschnürt und nur ein gurgelndes Wimmern verließ seinen weit aufgerissenen Mund.

Ghamdi steuerte die »Spirit of St. Louis« mit einer weiten Schlaufe in zirka zwei Metern Höhe hinter dem Flüchtenden her. Er hetzte ihn wie ein Löwe seine Beute auf der Jagd über den Wüstensand. Auf Knopfdruck der Fernbedienung versprühte das Flugzeug einen dichten Nebel, der sich einen Augenaufschlag später in einen Feuerteppich entzündete. Ghamdi genoss es, die Flammenwand über dem Mann einstürzen zu lassen. Er zog die Atemluft mit wollüstiger Befriedigung tief in seine Lunge, lenkte die »Spirit of St. Louis« in einem Bogen auf den brennenden Verräter zu und bohrte sie in einer aufdonnernden Explosion dem Sterbenden in den Leib.

„Der Stolz der Amerikaner hat ihn das Leben gekostet!“, brauste Ghamdi zynisch. „Schneide ihm den Kopf oder was noch davon übrig ist ab und schicke beide Teile den Amerikanern!“

„Glaubst du er hat der CIA etwas erzählt?“, fragte Massud, während er mit kindlicher Neugierde die züngelnden Flammen beobachtete, wie sie das zuckende Fleisch zum Schmoren brachten.

Ghamdi zog die Teleskopantenne seiner Fernbedienung ein. Er verpackte sein übriges Gerät in einem Alukoffer und sprach zu Massud kühl über die Schulter hinweg: „Das spielt keine Rolle mehr. Ich habe die Aktion vorgezogen!“

„Was meinst du mit vorgezogen?“, fragte Massud erstaunt, indem er sein Kinn spitz über seine Brust nach vorne schob. Mit gespreizten Fingern zog er fiktive Fragezeichen in die Luft, die er jedoch sogleich wieder verwischte, so, als wollte er Ghamdis Worte ausradieren. Ghamdi ließ Massud unterdessen einfach stehen und marschierte mit festem Schritt an Saddam vorbei in das Haus.

Massud folgte ihm widerwillig. „Eh! Wann soll die Aktion stattfinden? Wir müssen unsere Freunde informieren! Wir brauchen mehr Zeit! Und was ist mit den Journalisten?“

In dem karg eingerichteten Küchenwohnraum befanden sich lediglich ein Gasherd, ein kleiner Holzschrank mit etwas Geschirr sowie ein Tisch und vier Stühle im Stil bäuerlicher Einfachheit. Die Wände waren in der Reinheit ihrer Erbauung, einzig ein grünes Banner zierte den Eingangsbereich, auf dem die Koransure 9,33 in arabischen Zeichen eingestickt war: »Gott ist es, der seinen Gesandten mit der Rechtleitung und der Religion der Wahrheit gesandt hat, um ihr die Oberhand zu verleihen über alle Religion.«.

Ghamdis zweite Frau Aqdas hatte frischen Kaffee gekocht. Sie nahm den Topf von der Herd­platte und goss ihn in Trinkgläser, die auf einem Tablett bereitstanden. „Was war das für ein lauter Knall?“

Der kräftig würzige Kaffeeduft hüllte den Raum in eine entspannte Atmosphäre, die jedoch auf Massud keine Wirkung zu haben schien. Sein Gesicht war feuerrot vor Zorn. „Umar, sage bitte wie das funktionieren soll!“, keifte er wütend.

„Das Modellflugzeug ist explodiert.“, antwortete Ghamdi seiner Frau Aqdas. Er nahm sich ein Glas Kaffee vom Tablett, blies mit gespitzten Lippen die aufdampfende Hitze weg und nippte vorsichtig. „Aber das Spielzeug ist kein Verlust. Es war nur ein amerikanisches Modell ohne Bedeutung.“. Dann wandte er sich Massud zu. „Ich habe vor einer Stunde alle Anweisungen durchgegeben. Die Männer sind bereit, die Journalisten bereits auf dem Weg.“, berichtete Ghamdi und behauptete mit seinem eigenmächtigen Handeln seinen alleinigen Führungsanspruch. Er kam Massud bis auf eine halbe Armlänge Abstand näher. Mit durchdringendem Blick schaute er ihm tief in die Augen. „Du willst wissen wann es losgeht? – Sofort!“

 

 

 

 

4

 

Nicole hatte sich auf die Rückbank des alten Mercedes 200 gesetzt. Frauen hatten hinten zu sitzen. Nicole sah darin zwar keinen Sinn, doch war sie es leid, mit ihrem Kontaktvermittler Madawi jedes Mal von neuem eine Diskussion um die Sitzplatzverteilung im Auto zu beginnen. Peter legte die Kamera in den Kofferraum, dann stieg er zu Nicole in den Fond, während im vorderen Teil des Wagens Madawi sich mit dem Fahrer auf Arabisch unterhielt. Nicole kannte den Fahrer nicht. Sie dachte, dass er wahrscheinlich wieder einer von Madawis Mittelsmännern sein musste, der sie hoffentlich zum geheimen Treffen mit einem hohen Politiker der Hamas bringen würde.

„Wohin geht die Fahrt?“, fragte Nicole.

„Unser Treffpunkt ist ein Restaurant in Ramallah.“, antwortete Madawi. „Das ist ein guter Platz; da sind viele Menschen.“

„Beruhigt Sie das?“, triezte Nicole.

„Ja, Frau Hauser, auch wenn Sie meine Vorsicht als übertriebene Angst verurteilen, doch ich bin hier aufgewachsen und meine innere Stimme ermahnt mich ständig zur Umsicht. Das hat mir und meiner Gesundheit bisweilen sehr gut getan.“, widerstand Madawi Nicoles sarkastischer Bemerkung. Er blickte zur Windschutzscheibe hinaus und ließ seinen Blick über die Straße schweifen. Der Verkehr drängte um diese Zeit durch die Häuserschluchten wie Ameisen auf dem Weg zu ihrem Bau. Graue Dunstwolken krochen aus den Auspuffrohren. Der beißende Geruch der Abgase zog durch die Lüftungsschlitze der Klimaanlage ins Wageninnere, doch für die Besitzer der Nasen schien dies weniger eine Belastung zu sein. Denn die unerträgliche Hitze der erbarmungslos vom Himmel brennenden Sonne hätte binnen Minuten das Auto zu einem Herd mutieren lassen, indem die menschlichen Braten bald gar gewesen wären. Und so genossen sie die sanfte Kühle auf ihre Art.

„Entschuldigen Sie bitte.“. Nicole streifte sich das Kopftuch ab. Sie lüftete die angestaute Wärme und kämmte sich mit gespreizten Fingern die Haare locker. „Ich wollte Sie nicht beleidigen.“

„Schon gut.“

Die Straße führte hinaus aus Jerusalem. Vorbei an den letzten Häusern im Norden der Stadt, mussten sie den Checkpoint der Israelis in das Palästinensische Autonomiegebiet »Westjordanland« passieren.

Der sogenannte Checkpoint war ein Übergang von vielen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde. Die Straßenschranken waren schwere, in sich verschweißte Stahlrohre. Betonblöcke als Hindernisse machten es einem Amokfahrer unmöglich, eine explosive Fracht nach Israel zu bringen. Links und rechts der Straße trennte ein befestigter Zaun mit Wachtürmen die Gebiete. Das ist ja wie zu Zeiten, als bei uns in Deutschland die Berliner Mauer noch stand! dachte Nicole schockiert. Die Soldaten hielten Maschinenpistolen am Abzug; jeden Augenblick dazu bereit, den Feind zu erschießen. Sie kontrollierten die Pässe der motorisierten Grenzgänger, durchsuchten die Wagen mit visueller Gründlichkeit. Die Fußgänger mussten durch einen Gittertunnel gehen, wobei sie einzeln gefilzt wurden.

„Was wollen Sie dort drüben?“, fragte der Grenzsoldat, während er Nicoles Pass inspizierte.

„Wir sind vom deutschen Fernsehen und drehen eine Reportage über das Leben der Menschen im Nahen Osten.“, antwortete sie. Das Treffen mit einem Politiker der Hamas verschwieg sie, um es nicht zu gefährden. Seit geraumer Zeit hatte die israelische Regierung ihre Strategie in der Bekämpfung ihrer Staatsfeinde insofern geändert, dass sie vor gezielten Liquidierungen nicht mehr zurückschreckte. Nicole wusste, dass eine Überwachung ihrer Schritte die Israelis zu einem hochrangigen Hamas-Politiker führen würde und dies dessen Todesurteil bedeuten konnte.

„Viel Vergnügen im Paradies.“, sagte der Soldat mit Ironie in der Stimme und Sarkasmus in den Augen, als er Madawi seinen Pass zurückgab. Dann winkte er sie durch die Schranken. Sie durften passieren.

Madawi war Palästinenser. Nicole war froh um Madawis Anwesenheit, schon allein deshalb, weil nur ein Palästinenser in der Lage war, die geheimen Treffen in Palästina überhaupt erst zu organisieren. Keinem Israeli wäre es je möglich gewesen, einem Fernsehteam ein Interview mit einem Politiker der Hamas zu vermitteln. Doch Madawis Wesen verbarg noch einen weiteren Vorteil. Die kleinen Neckereien zwischen ihm und Nicole um dessen Supervorsicht gegenüber jedem noch so unscheinbaren Gefahrenherd waren zwar Nicole in ihrem Handeln ab und zu mächtig lästig, doch wusste sie, dass dies trotz alledem im Nahen Osten überlebensnotwendig sein konnte. Madawi strahlte auf Nicole quasi die Sicherheit einer Lebensversicherung aus.

Den Checkpoint hinter ihnen gelassen, führte die Straße vorbei an verdorrten Feldern, auf denen einst Früchte wie Tomaten und Orangen gediehen waren. Seit Beginn der Intifada durfte kaum mehr etwas nach Israel exportiert werden. Die  palästinensischen Bauern wurden ihrer Existenzgrundlage beraubt. Plastiktüten und alte Zeitungen mit nichts mehr sagenden Schlagzeilen wehten unterdessen im Wind über die ausgetrocknete Erde. Die Aussichten der Menschen waren trist; ihr Leben ein demütigendes Dasein auf nutzlos fruchtbarem Boden ohne Perspektive auf Besserung. – Welcher westliche Wohlstandsbürger konnte sich wirklich vorstellen, dass auf diesem Land längst nur noch der Hass zwischen den Palästinensern und den israelischen Siedlern keimte; und nicht die Saat von dringend benötigter Nahrung heranwuchs?

In der Ferne erschien Ramallah auf dem Gotteshügel erbaut wie unnahbar für die Feinde Palästinas. Und doch waren die Bewohner die Gefangenen eines Jahrtausende andauernden Konflikts in der Herzkammer der Religionen Islam, Judentum und des Christentums.

Die Straßenschluchten von Ramallah waren enge Gassen, die zum Teil so dicht mit Werbetafeln überhangen waren, dass das nicht einmal in New York genehmigt worden wäre. Das Verwunderlichste daran war jedoch, dass uramerikanische Firmen wie Mars-Schokoriegel und Coca-Cola mit ihren Bannern propagierten. So gehasst das große Amerika doch von den Palästinensern wurde, so gerne schienen sie ihre Produkte zu genießen.

Die Menschen drängten sich durch die Geschäfte, huschten über die Straßen, schleppten ihre vollen Einkaufstüten und hielten ab und dann ein Schwätzchen. Die Szenen hätten sich so in jeder beliebigen, westlichen Stadt abspielen können, wären die Erscheinungsbilder der Frauen nicht von Abbajas geprägt und das der Herren der Schöpfung keine ärmlichen Anzugsverschnitte gewesen. Das Geld war knapp in Ramallah; man sah es den Menschen deutlich an.

„Sind wir in der Zeit?“, fragte Nicole.

 „Ja.“, antwortete Madawi kurz, während er dem Fahrer auf Arabisch den Weg wies. Es war eine Kunst, den Wagen heil durch die verstopften Straßen zu steuern, die nicht immer gelang. Unzählige Blechbeulen zeugten von belanglosen Kollisionen, die ganz oben auf der Tagesordnung eines jeden Verkehrsteilnehmers zu stehen schienen. „Da vorne ist es schon!“

„Ist das das Stadtzentrum?“. Nicole streckte den Hals wie eine Schlange an Madawis Kopf vorbei. „Ja… da ist der Marktplatz mit dem Brunnen! Ich erkenne ihn wieder!“

„Das stimmt. Waren Sie schon einmal hier?“, erkundigte sich Madawi erstaunt.

„Nein.“. Nicole schüttelte den Kopf. „Ich habe erst kürzlich einen Bericht im Spiegelmagazin gelesen, indem ein Reporter nach der Familie eines Selbstmord­attentäters suchte. Ein Bild war von hier.“, antwortete sie. „Der Brunnen mit den emporsteigenden Metallstreben ist unverkennbar.“

Der Fahrer quetschte den alten Mercedes an den Straßenrand. Zwei vorübergehende Fußgänger fühlten sich belästigt und pöbelten. Sie riefen mit erhobenen Fäusten arabische Schmetterworte, zogen jedoch schließlich unverrichteter Fausthiebe weiter ihres Weges, um an der nächsten Straßenecke erneut einem Rüpelfahrer Schläge anzudrohen.

„Wir sind da.“. Madawi deutete mit dem Zeigefinger auf ein Restaurant, das sich an einer einsichtigen Ecke zum Marktplatz hin befand. Er steckte dem Fahrer zwanzig US-Dollar zu und stieg aus.

Peter wollte gerade den Kofferraum öffnen, als der Fahrer den Gang einlegte und losfuhr.

„Hey!“, schrie er laut und klatschte mit der flachen Hand auf das Blech, dass es Donnerschläge hallte. „Hey! Anhalten!“

Der Fahrer stoppte. Peter holte fix seine Schulterkamera aus dem Kofferraum, während der Fahrer mit wild fuchtelnden Händen gestikulierte.

„Ach, geh weiter!“, maulte Peter und schlug den Kofferraumdeckel mit Wucht wieder zu.

Im Restaurant war für sie reserviert worden. Sie hatten den besten Tisch, um den größten Teil des Marktplatzes einsehen zu können: Die Menschen wuselten eifrig umher. Sie murmelten eng aneinander gedrängt. Eine Gruppe Kinder schritt unter der Obhut einer wachsam schauenden Frau am Brunnen vorbei. Vier junge Männer spähten mit gestreckten Hälsen über die Köpfe der Passanten hinweg und tauschten rasche Blicke mit anderen aus, die auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes auf irgendetwas zu warten schienen. Eine Jungfamilie rempelte hastig durch die Reihen, um kurz darauf in einer Häuserschlucht zu verschwinden. Weitere Menschen verließen den Platz. Die Marktstände verwaisten in unauffälliger Ruhe.

Nicole beobachtete die Szenerie mit Argusaugen. Sie runzelte verwundert die Stirn. „Wieso sind plötzlich fast keine Frauen und Kinder mehr da?“, fragte sie erstaunt. „Wo sind die alle hin?“

Peter schaute etwas verwirrt zu ihr hinüber. „Wie meinst du das?“. Langsam folgte er mit seinem Kopf ihren Blicken. Zuerst begriff er nicht, doch dann griff er wie im Reflex nach seiner Kamera und schaltete sie ein. „Unglaublich! Was… was…“, stotterte er. „Was geht da ab?“

Madawi erstarrte, ehe ihm sein Körper Sekunden später den Schweiß wie in einem Fieberschub aus den Poren trieb. Seine Hände begannen zu zittern. Er sprang von seinem Stuhl auf, blieb einen Augenblick regungslos stehen, machte wie in Zeitlupe einen Schritt rückwärts und begann unmerklich seiner Lippen leise zu beten: „Allah, stehe uns bei!“

 

 

 

5

 

Auf dem Platz rund um den Brunnen herrschte eine elektrisierte Atmosphäre, die bei den Menschen eine anomale Reaktion hervorrief: Sie redeten nicht mehr miteinander. Sie wandelten wie stumme Marionetten in weiten Kreisen umher. Sie streiften sich in der Menge an den Schultern, rempelten mit ihren Körpern gegeneinander, doch es schien für jedermann nur ein von Belanglosigkeit gezeichneter Akt von Zufälligkeit zu sein. Manche von ihnen blickten starr an den Augen der anderen vorüber, andere stierten einfach nur auf den Boden, während wieder andere verheißungsvoll zum Himmel aufschauten und leise mit Allah zu reden begannen. Eine atemberaubende Stille schwebte wie ein in weiße Leichentücher gehüllter Engel über dem Platz. Es war gespenstisch. Nur der Brunnen plätscherte in der Gunst des Tages munter vor sich hin; das spritzende Wasser nebelte in der Gischt der Brunnenschale empor und die Sonne spiegelte sich in einem kleinen Regenbogen wieder.

Plötzlich heulte ein Motor laut aus einer Häuserschlucht heran. Es war ein so grell-schreiendes Geräusch, begleitet von schrill quietschenden Reifen, dass Nicole erschrocken aufsprang. Neugierig streckte sie ihren Hals ganz lang und versuchte über die Köpfe der Menschen hinweg den Lärmverursacher zu lokalisieren. „Ich habe kein gutes Gefühl…“, sagte sie zögerlich, als einen Augenblick weiter sie ein giftiger Windstoß beinahe mit sich gerissen hätte.

Unweit von Nicole entfernt schoss ein Kleinbus mit knallig gelber »Nike« Seitenaufschrift zwischen zwei Häusern hervor. Der Fahrer übersteuerte den Van in einer scharfen Linksbewegung, woraufhin das Heck ausbrach. Eine Rauchwolke stieg auf und hüllte die Straßenecke in einen Nebel aus aufgewirbeltem Dreck, Gummigestank und Bremsstaub. Dann knallte es. Der Kleinbus kollidierte in einen Müllcontainer. Die Plastiksäcke schleuderten in die Luft, barsten auf dem Asphalt und der Unrat versprühte in Sekunden seinen faulen Gestank über den Marktplatz hinweg.

„Ja spinnt denn der!?!“, schimpfte Peter laut los. „Das hätte Tote geben können!“

Die Seitentür des Kleinbusses schnellte auf. Zehn Männer in Militäruniformen und mit Maschinenpistolen bewaffnet stürmten heraus. Sie eröffneten augenblicklich das Feuer. Ihre Gewehre spuckten innerhalb von Sekunden Tausende von todbringenden Kugeln über den Platz und mordeten jegliches Leben in bestialischer Präzision.

 „Allâhu Akbar! Allâhu Akbar!“, riefen die sterbenden Männer, während ihre Mörder Allah verfluchten und immer wieder laut in die Menge schrien: „Jehova ist größer!“ und:  „Gepriesen sei Jehova!“

Es dauerte keine Minute, da sprangen die Meuchler zurück in den Van. Und noch ehe der letzte die Seitentüre schließen konnte, raste der Fahrer über eine Leiche hinweg, um kurz darauf wieder in den Straßenschluchten von Ramallah zu verschwinden.

Weit entfernt toste ein israelischer Kampfjäger heran. Er war zirka einen Kilometer entfernt, als in seinen Düsen ein dumpfer Donnerschlag explodierte, er in Schall­geschwindigkeit über die Toten hinweg schoss, um Sekunden später im tiefen Blau als ein kleiner, schwarzer Punkt wieder unterzutauchen.

Peter versuchte den Schock in seinen Gliedern in Zaum zu halten. Er atmete tief durch; zweimal; dreimal… doch die Tränen seiner Seele ertränkten die Freude an seiner Arbeit. Mit einem eisernen Willen und fest entschlossen seinen Job zu machen, riss er sich zusammen und ging mit seiner Kamera auf der Schulter langsam um die Toten herum. Er filmte sie aus der Ferne als ein Feld besät mit menschlichen Körpern. Er fokussierte die Gesichter mit ihren erstarrten Mimiken, die den Tod hatten kommen sehen. Manche Antlitze waren mit einem Schrei auf den Lippen von ihrem Ableben eingeholt worden; andere schienen gar zu lachen. Manche hatten die Augen zum letzten Blick weit aufgerissen, während andere ihr Sterben in Dunkelheit fühlen wollten. Manche Gliedmaßen der Opfer zuckten ein letztes Mal, ehe sie erschlafft den Tod verspürten. Das Blut sickerte aus den Kleidern der Leichen und sammelte sich in großen, dunkelroten Lachen quer über den ganzen Platz verteilt.

Inmitten des Leichenmeeres reckte eine Frau verzweifelt die Arme zum Himmel. „Allâhu Akbar! Allâhu Akbar!“, schrie sie jämmerlich und weinte die bittersten Tränen in ihrem Leben. „Allâhu Akbar! Allâhu Akbar!“. Ihr sechzehnjähriger Sohn war für immer tot.

Andere Frauen kreischten laut ihrer Verzweiflung aus sich heraus. Sie schluchzten in bitterem Wehklagen um ihre toten Männer, um ihre toten Verwandten, um ihre toten Freunde. Die Frauen knieten sich neben ihre Lieben, schlossen sie fest in die Arme, küssten ihnen das Blut von den Lippen und weinten mit den Köpfen im Nacken zum Himmel empor. „Allâhu Akbar! Allâhu Akbar!“

Die herangeeilten Männer, die das Massaker im Schutz ihrer Häuser überlebt hatten, ballten ihre Hände zu Fäusten. Ihre Gesichter mutierten zu hasserfüllten Fratzen. Und aus ihren arabischen Kehlen brüllten sie immer und immer wieder: „Tod den Juden! Tod den Juden! – Allâhu Akbar!“

Nicole rang nach Luft. Sie wollte losrennen, den Menschen helfen, doch ihre Beine bewegten sich einfach nicht von der Stelle. Sie wollte etwas sagen, den trauernden Frauen ihr Mitleid ausdrücken, doch ihr Mund vibrierte nur stumm. Sie konnte für das viele Leid keine Worte mehr finden. Es brauchte annähernd zwei Minuten, bis sie sich aus ihrer lähmenden Körperstarre langsam zu befreien vermochte. „Warum wünschen sie den Juden den Tod?“, fragte sie mit schwacher Stimme. Ein kleiner Junge rempelte sie an, der eine brennende Israelflagge in die Höhe hielt. Ihre Knie begannen zu zittern. „Ich verstehe das nicht… weshalb den Juden…?“

„Haben Sie die Uniformen der Soldaten nicht erkannt?!“. Madawi wischte sich den Zornesschweiß von den Schläfen. „Das waren israelische Soldaten!“

„Israelische Soldaten?“, wiederholte Nicole verwirrt. „Ja… aber wieso sollten sie so etwas tun?“

„Das müssen Sie diese Bastarde fragen!“, fauchte Madawi böse.

Nicoles Gedanken waren in einem Gewirr aus Schreck, Trauer, eisiger Leere und dem Verlust vom Glauben an die göttliche Gerechtigkeit gefangen. „Das ergibt doch gar keinen Sinn…“, gebar sie zaghaft aus ihrer Kehle. Sie bemerkte nicht, wie die Tränen über ihre Wangen flossen. Sie grub ihr aschfahles Gesicht tief in ihre Hände, schüttelte niedergebeugt mit dem Kopf und seufzte leise: „So viel Leid…! So viel unendliches Leid…!“

Zwei Polizeiautos rasten heran. Die Polizisten stiegen ergriffen aus den Wagen. Es fiel ihnen sichtlich schwer, beim Anblick ihrer toten Landsleute mit ihrem Innern zu hadern, um nicht weinend zusammen­zubrechen. Sie versuchten Fassung zu bewahren und den Weg für die Rettungskräfte freizubekommen, doch der grausame Schmerz, den sie fühlten, war ihnen bis ins Gebein hinein gezeichnet.

Plötzlich erschütterte eine gewaltige Explosion den Marktplatz. Fenster angrenzender Häuser barsten wie Zuckerguss. Unzählige Splitter flogen wie spitze Pfeile durch die Luft, um kurz darauf in Mauern, Autos und in Menschen einzustechen.

Nicole hörte es noch zischen, als sie einen festen Schlag gegen ihren Oberarm fühlte. Erst als sie nach Sekunden ein pulsierender Schmerz durchdrang, senkte sie ihren Blick und sah das viele Blut, das ihre weiße Bluse rasch rot färbte. Es hatte sich eine Glasscherbe in ihren Arm gebohrt, die wie eine heiße Nadel in ihre Nerven eingestochen hatte. Eine unsichtbare Hand schien die Spitze immer tiefer in ihr Fleisch hinein zu treiben. Es tat fürchterlich weh. Tränen schossen ihr in die Augen. Sie öffnete den Mund, sie wollte laut schreien, doch ihre Kehle war vom Schreck wie zugeschnürt. Sie keuchte. Wie in Trance zog sie das Scherbenstück aus ihrem Oberarm und ließ es auf den Boden fallen.

„Ach du große Scheiße!“, schrie Peter laut. „Das war eine Bombe in einem Müllcontainer! Dort drüben!“

„Sie sind verwundet!“, rief Madawi.

Peter versuchte jedes Detail zu filmen. Und noch während er seine Aufnahmen machte, sickerten Madawis Worte in seinen Verstand ein. „Wer wurde verwundet?“

„Frau Hauser!“

Peter stockte der Atem. Er riss sich die Kamera von der Schulter und stürzte herbei. „Nicole!“, greinte er, als wäre er selbst getroffen worden. „Nicole! Hat es dich schwer erwischt? Nun sag schon!“

Nicole schüttelte rasch den Kopf, während ihr Mund vom Schock geknebelt war.

„Wir müssen hier weg!“, schrie Madawi von Angst beseelt. Er band sein Taschentuch um Nicoles Arm und zurrte es so fest er nur konnte. „Das wird halten und die Blutung stoppen!“. Er nickte mehrmals hastig. „Jetzt lassen Sie uns von hier verschwinden!“

Da explodierte direkt neben einem Polizeiwagen ein zweiter Müllcontainer und riss ihn wie eine Streichholzschachtel auseinander. An einer Straßeneinbuchtung detonierte ein Abwasserkanal unter einem Obstwagen und katapultierte ihn etwa eineinhalb Meter empor. Einen Sekundenbruchteil später zerfetzte eine Kofferbombe einen zivilen Helfer, der versucht hatte, den abgetrennten Fuß eines Opfers abzubinden; dann war er selbst tot. Fünfmal donnerte es und jede Explosion tötete in unbarmherziger Weise die umstehenden Menschen. Es war grausam. Das Blut quoll aus den zerfetzten Körpern; es spritzte auf die Leichen nieder, regnete wie dicke Tränen vom Himmel und färbte das Wasser im Brunnen purpurrot.

„Los jetzt!“, brüllte Peter. Eine abgerissene Wagentür schoss wie eine Kanonenkugel dicht an seinem Kopf vorbei; sie detonierte mit einem brüllenden Widerhall im Marktbrunnen und fetzte das Fundament in Tausend Stücke. „Los! Beeilt euch!“. Sein Herz pochte in rasender Geschwindigkeit und drohte ihm beinahe aus der Brust zu springen. Seine von Schmutz bedeckten Haare sträubten sich wie Igelstacheln, während seine fahle Haut seine Backen spannte und sie erzittern ließ. „Das hier ist Krieg! Krieg!“

Madawi stockte der Atem. Seine Nase begann wild zu flattern, während er mit der Zunge seine Lippen befeuchtete. „Schnell! Hier lang!“. Seine Stimme krächzte angsttrunken. Der Schweiß strömte in kleinen Bächen über sein angestrengtes Gesicht. Das Blut pochte durch seine Wangenhaut und färbte sie leuchtend rot. Er schnaubte schwer unter seiner stark übergewichtigen Körperlast. Er verwünschte sich in diesem Moment selbst dafür, ein Mann von erst achtunddreißig Jahren zu sein, und dennoch die Schwäche in seinen Muskeln zu fühlen, als hätte er einen Marathon hinter sich gebracht. Sein rotes Haupthaar zierte nur mehr wie ein dünner Flaum seinen Kugelkopf und bot der heißen Mittagssonne keine Gegenwehr gegen einen drohenden Hitzschlag. Madawi hasste die prallen Sonnenstrahlen der Wüstensonne, wie ein Fliegender Hund den Tag. Seine Körperphysik wollte streiken, doch sein Wille zur Flucht behielt jäh die Oberhand. Die tief in die Höhlen eingefallenen, weißen Augäpfel versteckte Madawi hinter einer altmodisch verspiegelten Sonnenbrille und versuchte sich seine Angestrengtheit nicht anmerken zu lassen. Vergebens. Zwei faule Zähne in seinem schmalen Mund klapperten wie morsche Holzstümpfe aufeinander und drohten ihm bei jedem Schritt mit ihrem Abgang. Madawi räusperte sich. „Rechts an dem Stoffgeschäft vorbei! Links in die Straße!“, herrschte er Nicole und Peter an. Mit letzter Kraft eilte er ihnen hinterher.

Die Straße war eine von Geschäftsständen zugekleisterte Gasse; sie war ein Labyrinth von Gemüsekisten, Tonschüsseln voll mit kulinarischen Köstlichkeiten, Stoffrollen und unzähligem Kleinkrams.

Die Menschen hetzten in ihre Häuser. Sie schrien in panischer Angst um ihr Leben. Es war ein undurchdringliches Durcheinander, indem jeder versuchte, sich selbst der Nächste zu sein. Manche schlugen sich mit den Ellenbogen den Weg frei. Hilflose Mütter packten ihre Kinder und zerrten sie von der Straße. Ein alter Mann, der gestürzt war, krabbelte auf allen Vieren unter einen Gemüsestand und brachte sich im letzten Augenblick in Sicherheit, ehe eine Meute junger Männer wie Stiere an ihm vorüberjagte. Sie rafften von den Auslagen der Geschäfte Schmuck und Seide, ebenso billigen Plunder. An einem Zugang zu einem Hinterhof prügelten sich zwei Männer um einen alten Fernseher, der neben ihnen im Dreck lag. Eine Katze kroch aus einem umgestürzten Fass, sprang auf einen Container und flüchtete mit einem Satz über einen Zaun. Drei Mülltonnen weiter lief ein Mischlingshund im Kreise seiner Leine, winselte und jammerte, legte sich hin, kaute das Seil, doch er konnte sich nicht befreien. Dann sprang er wieder auf und lief mit eingezogenem Schwanz weiter und weiter hin und her.

Staub wirbelte unter den Tausenden von panischen Schritten der Menschen auf und vernebelte die Straßen von Ramallah. Sirenen heulten über die Dächer hinweg. Ein Großaufgebot der palästinensischen Armee und der Polizei rückte an. Sie sperrten sämtliche Wege, die aus der Stadt führten. Binnen Minuten sicherten schwerbewaffnete Soldaten der Fatah die möglichen Fluchtwege der Attentäter und richteten Sperrzonen ein. Die Polizisten durchkämmten mit brachialer Gewalt die Straßen und verhafteten alle Frauen und Männer, die auch nur andeutungsweise israelische Gesichtszüge aufwiesen.

„Da rein!“, rief Madawi.

Sie rannten in eine Hinterhofparzelle. Rechts und links waren Bretterverschläge, die durch kreuz und quer genagelte Latten vor dem Einsturz bewahrt worden waren. Die Dächer waren schäbige Folien, die mit Steinbrocken auf die Holzgerippe niederbeschwert wurden. Eine alte Frau stierte aus einem Spalt. Wenige Meter weiter krochen halbwüchsige Kinder in ein Loch und zogen sich als Sichtschutz eine alte, verdreckte Decke über ihre Köpfe.

„Was jetzt?“, stieß Nicole aus. Sie ruderte verzweifelt mit den Armen, während sie hastig nach einem Versteck gierte.

Peter keuchte; ihm wurde die Kamera schwer. Seine Kräfte zerrannen wie der Schweiß, der aus seinen Poren quoll und in der trockenen Hitze sogleich wieder verdunstete. Er mochte sich einen Moment ausruhen, als hinter ihnen Schüsse knallten.

„Falscher Weg!“, schrie Madawi erschöpft. Er machte kehrt und wollte zurück rennen, als sich ihm ein Mann in einem schäbigen Umhang in den Weg stellte. Anfänglich unbeachtet der dürren Gestalt rannte Madawi auf ihn zu. Da zog der Mann eine Pistole.

„Stop, men!“, befahl er in gebrochenem Englisch.

„Wer sind Sie?!“, schrie Madawi.

Peter hielt fix mit der Kamera das Geschehen fest.

„Wir sind ein deutsches Fernsehteam!“, rief Nicole dazwischen. Wie angewurzelt blieb sie in gebührendem Abstand stehen. „Wir können beweisen, dass den Anschlag israelische Soldaten verübten!“

„Ich will das Band! Her damit!“, zischte der Mann und richtete den Lauf seiner Pistole auf Peters Kopf.

„Wollen Sie denn nicht, dass die Wahrheit ans Licht kommt!?“, fragte Nicole konsterniert.

Madawi musterte den Mann, während er sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß aus den Augenbrauen wischte. „Mossad!“, nannte er das Kind beim Namen.

„Was!?“, gurrte Nicole.

„Der Mann gehört zum Mossad, dem israelischen Geheimdienst.“, klärte Madawi auf. You are a Mossad-Agent, right!?“

Ich will das Band haben! Und zwar sofort!“. Der Mann schoss als letzte Warnung dicht an Peter vorbei, mitten in ein altes, zirka zwei auf drei Meter großes Werbeschild, dass in überdimensionalen Lettern für Coca-Cola propagierte.

Peter zuckte todeserschrocken zusammen. „Ja, ja, ja!“, schrie er aufgeregt. Er hob seine Hände in die Höhe, kniete sich hastig neben seine Kamera auf die Erde und öffnete den CD-Ladeschacht. „Schon gut! Schon gut!“, stotterte er. „Sie werden alles kriegen was Sie wollen! Nur nicht schießen! Nicht schießen!“

Da zog Madawi blitzschnell seine Pistole. Ohne Vorwarnung schoss er dem Mann eine Kugel in die Nasenwurzel. Dieser fiel mit dem Gesicht voran auf den Boden, zuckte zweimal und blieb reglos liegen. In seinem Hinterkopf klaffte ein faustgroßes Loch, aus dem eine blutige Masse zäh herausquoll.

„Oh mein Gott!“, rief Nicole entsetzt. „Sie haben ihn umgebracht!“

„Besser er als wir!“, schnaubte Madawi. „Schnell, wir müssen weiter!“. Madawi stieg über die Leiche. „Wo einer ist da sind noch weitere!“

Der aufgebrachte Mob sammelte sich in Scharen und zog mit tosendem Geschrei in Richtung Marktplatz. Die Polizisten hatten gegen die hasserfüllten Fratzen keine Chance. Sie mussten weichen, ließen den kampfbereiten Männern freien Lauf und verkrochen sich hinter Häuserecken.

„Weiter!“, brüllte Madawi. Mit gehetztem Blick schaute er sich um. Er stoppte vor einer Haustüre und verschaffte sich kurzerhand mit einem Fußtritt Einlass. Die überfallene Hausfrau schrie ihre ganze Angst mit der gesamten Pressluft ihrer Lunge ohrenbetäubend laut aus ihrer Kehle heraus. Sie wollte die Eindringlinge mit einem Besen in die Flucht schlagen, doch als sie in Madawis Pistolenlauf sah, wurde sie still und trat zur Seite.

Madawi lehnte mit dem Rücken zur Eingangstür. Er schnaubte nach Luft. Er riss sich die Sonnenbrille von der Nase und dankte Allah um sein Leben.

„Wie geht es deinem Arm?“, fragte Peter Nicole.

„Bis eben hatte ich die Wunde gar nicht mehr gemerkt.“, antwortete sie. Sie betrachtete das viele Blut, das ihre Bluse getränkt hatte. „Schon seltsam, aber es fühlt sich so an, als wäre mein Arm etwas pelzig; sonst nichts.“

Eine Maschinenpistolensalve knatterte durch die Straßenschluchten.

Nicole überkam von neuem ein Gewitter voll Angst und Schrecken. Hoffentlich schießen sie nicht in die Häuser! Bitte lieber Gott, lass sie nicht in die Häuser schießen! flehte sie stumm `gen Himmel. Ihre Muskeln waren so angespannt, dass sich die Sehnen und Adern wie dünne Drahtseile in ihre Haut eingerbten. Über ihrer linken Schläfe schwoll eine Vene fingerdick an und ihr Blut floss in rasch zuckenden Stößen in ihr Gehirn. Ich will nicht sterben! Bitte lieber Gott, lass mich nicht sterben! Ihr Kopf brummte.

Der Mob auf der Straße brüllte im Chor: „Allâhu Akbar! Allah ist groß! Tod den Juden! Tod den Amerikanern!“

Peter konnte durch das Fenster hindurch sehen, wie eine amerikanische Flagge in Flammen aufging. „Das war knapp!“, seufzte er.

Nicole nickte. „Ja, verdammt knapp!“

„Das da draußen sieht nicht gut aus!“

Die palästinensische Hausfrau rannte aus der Stube und kam mit einer schweren Eisenpfanne wieder. Sie schrie, holte zum Schlag aus und in ihrer Panik vergaß sie, dass Madawi eine Pistole am Abzug hielt.

Doch Madawi steckte sie weg. Er hielt ihr die offenen Hände entgegen und redete mit ruhiger Stimme beschwichtigend auf sie ein. „Diese beiden Leute sind Freunde vom deutschen Fernsehen und wir suchen in Ihrem Haus Schutz vor den wütenden Menschen. Bitte helfen Sie uns.“, bat er auf Arabisch die aufgebrachte Frau um Hilfe. An der Stubentür stand ein kleines, verängstigtes Mädchen, das sich am Türpfosten festklammerte und die Fremdlinge mit großen Augen betrachtete.

Da donnerten Faustschläge gegen die Haustüre.

„Bei Allah! Helfen Sie uns!“, zischte Madawi. Er ging mit raschen Schritten auf die Frau zu, nahm ihr die Pfanne aus der Hand und gab sie ihrer kleinen Tochter. „Ich flehe Sie an: Bitte helfen Sie uns!“

Wieder dröhnten Fäuste gegen die Holztür. Peter sah vorsichtig zum Fenster hinaus. Da war niemand. Es schien so, als hämmerte der vorüberziehende Mob gegen sämtliche Türen, um die restlichen Männer in den Häusern für ihren Marsch zu mobilisieren. Doch dann sah er sie. „Da sind zwei Soldaten mit Maschinengewehren!“

Die Frau sah Madawi an. Sie nickte, drehte sich rasch um und winkte den anderen, ihr zu folgen. Sie führte sie hinter das Haus in einen provisorisch angebauten Holzverschlag. Gerümpel wie alte Kartons und leere Getränkeflaschen lagen verstreut auf dem Boden. Es war dunkel und nur vereinzelt krochen Sonnenstrahlen durch die Schlitze der Bretterwände. Die Gesichter der dreien leuchteten in Streifen, als hätten sie sich einen Sträflingsschleier übergezogen. Die Frau schloss den Verschlag und ging zurück.

Madawi setzte sich erschöpft auf eine Kiste und atmete tief durch. „Hier sind wir erst einmal sicher.“

Es piepste.

„Was war das?!“, flüsterte Nicole erschrocken. „Das hat sich wie eine Maus angehört!“. Sie zappelte auf der Stelle. „Scheiße! Etwas ist an meinem Fuß hochgesprungen!“

„Was nun!?“, fragte Peter erregt.

Ein lautes Gepolter drang durch die angrenzende Wand hindurch.

„Still!“, ermahnte Madawi. Arabisches Stimmengewirr. „Psst!“

Die Stimmen wurden lauter. Die Frau klagte in schnellen Worten, während im Hintergrund die Tochter weinte. Eine dunkle Männerstimme giftete dazwischen.

Schüsse fielen.

Peters Atem stockte. In den Lichtfetzen des Bretterverschlages starrten seine weiten Pupillen wie große, schwarze Murmeln in ein weites, leeres Nichts.

Madawi schüttelte hektisch sein Haupt. „Die Schüsse kamen von der Straße, nicht vom Haus.“, flüsterte er und horchte weiter den Stimmen.

Nicole drückte ihr Ohr dicht gegen die dünne Wand und lauschte. Sie hörte ein Klacken und sie wusste sofort, dass es das Klacken einer Maschinenpistole war, in die man ein neues Magazin geladen hatte. Um Himmelswillen! war der einzige Gedanke der wie wild durch ihren Kopf hetzte. Nicole saugte jedes Knistern auf, als wäre es ihr Letztes. Sie presste ihren Rücken flach gegen die Mauer, kniff die Lider fest zusammen und wartete auf den großen Knall. Noch nie in ihrem Leben hatte sie solch eine nackte Angst in ihren Gliedern gefühlt. Sie wünschte sich bei Gott, aus diesem Alptraum zu erwachen und begann leise zu beten. „Vater unser, der du bist im Himmel…“

Auf der anderen Seite heulte die Hausfrau Rotz und Wasser. Ihre Stimme überschlug sich. Nicole lauschte dem flinken, arabischen Redeschwall. Sie verstand kein Wort, doch ihre intuitive, frauliche Wahrnehmung ließ sie erneut schaudern. Die hohe, schnelle Stimmlage, schrille, abgehackte Töne und dann das Klacken der Maschinenpistole... Was ist da los!? dachte Nicole. Sie wartete wie unter Strom, bis die Polizisten sie endlich entdecken würden. Wir sind Reporter und keine Verbrecher! Wieso sollen sie uns etwas antun wollen?! Schließlich waren es nicht wir, die den Anschlag verübten, sondern es waren die israelischen Soldaten! Zudem sind wir in der Lage, das mit Hilfe unserer Aufnahmen auch zu beweisen! Wir können der Welt zeigen, wer die wahren Täter sind! Also, weshalb würden diese Polizisten uns etwas antun wollen!? Nicole nickte sich ihren Gedanken taff zu. Vielleicht wäre es sogar besser, wenn wir uns ihnen zeigen würden; dann könnten wir unter Begleitschutz diese brenzlige Lage überstehen! Ja, genau! Sie klemmte die Lippen zwischen die Zähne und machte einen vorsichtigen Schritt in Richtung Tür. „Wir stellen uns.“, wisperte sie. „Die Polizisten sollen uns aus Ramallah raus helfen. Wir sind Reporter. Wir haben Filmaufnahmen, die in ihrem Interesse sind. Die werden uns nichts tun!“

Madawi nahm sie beim Arm. Er drückte seine Hand kräftig zu und hielt sie zurück.

Nicole fühlte wieder, wie ihre Wunde von neuem zu pochen begann. Der Schmerz stach wie eine Nadel in ihr Fleisch und trieb ihr Tränen in die Augen.

„Nein!“, flüsterte Madawi energisch. „Wir wissen nicht, ob die Polizisten hinter dieser Tür für den Mossad arbeiten. Wir befinden uns hier im Krieg. Da sind Bestechungen an der Tagesordnung. Das Risiko ist zu groß, als dass wir uns freiwillig zeigen sollten.“

„Er hat recht!“, gurrte Peter und horchte angestrengt an der Wand. „Psst!“

Madawi lauschte erneut den Stimmen. Es wurde still.

Peter schärfte seinen Hörsinn. „Ich glaube sie gehen.“

„Was ist passiert?“, fragte Nicole.

„Die Frau hat die Polizisten gefragt, ob ihr Mann bei den Explosionen getötet worden sei.“, übersetzte Madawi das vorausgegangene Stimmengewirr. „Dann beschimpfte sie die Israelis und wünschte den Juden den Tod.“

„Oh mein Gott!“, stieß Nicole betroffen aus. „Wie viel Leid müssen diese Menschen denn noch ertragen?“. Sie atmete durch die vorgehaltene Hand. Ihr Hauch zischte warm durch die Finger. „Uns hat sie geholfen, obwohl sie uns nicht kannte. Ihren Mann hat sie verloren…“

„Das wissen wir nicht.“, versuchte Peter sie zu beruhigen. „Ihr Mann ist nicht nach Hause gekommen – na und? Wahrscheinlich ist er einer der wild brüllenden Männer auf der Straße da draußen.“

Nicole nickte rasch. „Vielleicht hast du recht.“. Sie wünschte sich jedenfalls, dass Peter recht hatte und verdrängte jeden weiteren Gedanken an den Tod. Da legte sie verwundert den Kopf zur Seite und schielte mit weit aufgerissenen Augen durch die Bretterspalten hindurch auf den Hinterhof. Sie ging näher heran, stieß mit der Nase in einen Spalt und versuchte, ihren Blick frei zu machen. „Nein, oder?!“. Ihre Stimme begann hektisch auf und ab zu schwingen. „Oh Gott! – Das müsst ihr euch anschauen! Wisst ihr, was da draußen rum steht?!“

„Was soll da sein?“, fragte Peter von rascher Neugierde überrannt. Er stellte sich neben Nicole und runzelte konsterniert die Stirn.

„Ist er das?! Was meinst du?“

„Er hatte jedenfalls auch so eine knallig gelbe »Nike« Werbung auf der Seite.“, pflichtete Peter ihr bei. Allzu viele davon wird es hier in Ramallah nicht geben.“

„Dann ist er es!?“

Peter nickte. „Ich denke ja!“. Seine Stimme überschlug sich. „Scheiße, ja! Ich denke, das ist der verdammte Terroristenvan!“

Es zischte. Eine kleine, fast unmerkliche Rauchwolke stieg unter der Motorhaube hervor und wuchs in Sekunden zu einem dichten Gemisch aus Ruß und nach Benzin stinkender Luft. Ein Feuersprudel klein wie eine Wunderkerze flackerte auf. Noch ehe Peter die Kamera schultern konnte, erschütterte eine ohrenbetäubende Explosion den Bretterverschlag und riss ihn wie ein Kartenhaus auseinander. Glühendheiße Feuerzungen fauchten aus den zerborstenen Fenstern des Kleinbusses. Ein Funkenhagel formte sich wie eine Kugel über der Motorhaube und verschlang in Windeseile den ganzen Van. Es bildete sich eine Gluthitze, heißer wie das Feuer der Hölle. Es stank fürchterlich. Der schmelzende Gummi der Reifen stieg in einer tiefschwarzen Rußwolke in den Himmel empor und verdunkelte den Tag zur Nacht.

 

Unweit des Regierungsviertels startete ein Hubschrauber. Er kreiste in einem großen Bogen um das Stadtzentrum von Ramallah. Der palästinensische Präsident bekam Tränen in die Augen, als er das Ausmaß der Zerstörung betrachtete. Er konnte beobachten, wie die Häuser seiner arabischen Brüder in Flammen aufgingen. Feuersbrünste, Ruinen und unzählige Leichen zeichneten das Stadtzentrum von Ramallah, des einzig größten Stolzes Palästinas. Doch nun schien alles zerstört zu sein. Der Traum von Freiheit und Frieden war grausam gemordet worden.

„Die Juden werden mir dafür mit ihrem Leben bezahlen!“, fauchte er. „Ich werde erst ruhen, wenn keiner mehr von diesen Bastarden seinen Fuß auf unser Heiliges Land setzen kann! Allâhu Akbar! – Allah ist groß!“, schwor der palästinensische Präsident Rache, als sein Hubschrauber abdrehte und davonflog.

 

 

 

 

 

 

 

6

 

Hauptsitz der Central Intelligence Agency

(Langley im US-Bundesstaat Virginia)

 

John Mulder stand am Faxgerät, als es plötzlich losratterte. Er wartete bereits sehnlichst auf eine Antwort von seinem Freund Majid aus Israel. Sie hatten vor knapp vier Stunden miteinander telefoniert und vereinbart, dass er ihm bis spätestens dreizehn Uhr die dringend benötigten Informationen zukommen lassen würde. Nun war es bereits kurz vor halb zwei, Mulder hatte noch immer nichts erhalten und in fünf Minuten war Sitzung beim Chef.

„Ist es das, worauf Sie warten?“, fragte Miss Ellison fürsorglich.

„Nein.“, brummte John. „Das ist nur so ein blödes Werbefax. Jetzt arbeiten wir hier bei der CIA und bekommen täglich mindestens zwanzig von den Dingern, obwohl sie verboten sind. Wieso geht der Sache eigentlich keiner nach?“

„Dafür fühlt sich wohl niemand zuständig.“, antwortete Miss Ellison und zuckte dabei lässig mit den Schultern.

Miss Ellison war die Chefsekretärin der Abteilung SHI-ISR, der »Special Human Intelligence for Israel«. Die Abteilung, der auch Mulder angehörte, war für die Anwerbung und Betreuung von Agenten in Israel und der Palästinensischen Autonomiegebiete zuständig.

„Sobald ein Fax reinkommt werde ich es Ihnen sofort bringen.“, versicherte sie Mulder. Sie drehte sich um und wollte zu ihrem Schreibtisch zurückgehen, als ihre Beine für einen kurzen Augenblick an Ort und Stelle verweilten. Sie blickte verschmitzt aus den Augenwinkeln und meinte keck: „Sie wissen doch: Geheimagenten machen es immer spannend. Das kennen wir doch von James Bond.“

„Ja, Miss Moneypenny. Wie wäre es heute Abend um acht im Sunset-Restaurant zum Dinner?“

„Guter Versuch, aber ich habe leider keine Zeit.“, antwortete sie mit flinker Zunge. Sie ließ den Kopf etwas zur Seite fallen, schlug rasch mit den Augenlidern und legte mit verspielter Lippenkonversation sanft nach: „Mein Freund kocht heute für mich.“

„Der Glückliche.“. Mulder glaubte ein Funkeln in ihren blauen Augen entdeckt zu haben, dass auf eine gewisse Abenteuerlust schließen ließ. Blonde, lange Haare, blaue Augen, schmales Gesicht, klasse Rahmen und Beine so lang wie eine Gazelle – Da wurde bestimmt schon so mancher Mann von Miss Ellison vernascht, schneller als er sich versah! dachte Mulder und lächelte mit einem solch verbissenen Kiefer zurück, als hätte ihm jemand ein Stück Zitrone in den Rachen gesteckt. Nur leider durfte ich noch nicht. „Dann muss ich jetzt wohl. Der Chef wartet nicht gerne.“. Er griff nach seiner Unterlagenmappe, die er auf dem Faxgerät abgelegt hatte, klemmte sie lässig unter den Arm und stakste gemächlich den Flur entlang. Sein rostbrauner Anzug, seine beigefarbenen Lederslipper und seine Citizen-Platin-Uhr verliehen ihm den Glanz eines Gentleman; jedoch nicht im Habitus à la James Bond. Mit seinem Schlender-Wackelgang repräsentierte er eher einen lässigen Snob, der mit einer etwas arroganten Note Aftershave parfümiert war. Sein Kurzhaarschnitt im Igellook und seine rahmenlos gefasste Calvin Brille, die sein kantiges Gesicht zierte, unterstrichen die Optik seines maskulinen 1,82 Meter Körpers auf eitle Art und Weise. Er wirkte auf die Frauen wie ein Magnet, das auch Nichtmetall in seinen Bann zu ziehen vermochte. Doch bei Miss Ellison versagte es regelmäßig.

Mulder sah auf seine Uhr. Majid war bis dato stets zuverlässig gewesen. Und nun, als Mulder die ausstehenden Informationen in der anstehenden Sitzung so dringend benötigte, hatte sich sein Kontaktmann zu seinem Leidwesen noch immer nicht gemeldet.

Mulder konnte sich noch genau an den Tag vor anderthalb Jahren erinnern, als er in einem Café in Ramallah einen äußerlich unscheinbaren Mann beobachtete, der jedoch äußerst kraftgeladen vor alten Gelehrten für den Islam propagierte. Er wetterte gegen die kompromisslose, gewaltherrliche Machtpolitik der Amerikaner. Das arrogante Westvolk würde einzig und allein die israelische Angehensweise an die explosive Problematik bezüglich dem Kampf der Kulturen unterstützen. Tote Palästinenser, tote Moslems würden vom amerikanischen Präsidenten als minderwertiger Kollateralschaden achselzuckend hingenommen. Mulder zog vor Majids gerissener Ausdrucksweise noch heute den Hut. War Majid doch in der Lage, die älteren Menschen wie auch die Jugend zu erreichen. Und dies in einer Weise, die Mulder das Gefühl gab, dass dieser Mann sein Leben für seine Worte opfern würde. Was von den anwesenden Zuhörern jedoch keiner ahnte war, dass Majid zu diesem Zeitpunkt bereits als Agent der amerikanischen Regierung Lohn erhielt und er einzig zu dem Zweck seine Rede angezettelt hatte, um in den Kreis der radikal orientierten Fundamentalisten eindringen zu können. Es funktionierte. Majids Worte waren in dem Café noch nicht verhallt, da kam ein alter Mann auf ihn zu und bat ihn um Mithilfe im verdeckten Kampf gegen den gottlosen und ausbeuterischen Westen. Majid hatte in zwanzig Minuten Redekraft den Eintritt in eine Terrorgruppe erreicht, von dem sich Mulder wichtige Informationen im Kampf gegen den fundamentalistischen Terrorismus versprach. Trotz alledem dauerte es noch anderthalb Jahre, bis Majid auch das Vertrauen des Chefs der besagten Terrorzelle gewinnen konnte. Und nun, als der Lohn Majids Arbeit der Lageplan von sieben Terrorcamps im Nahen Osten zu sein schien, wartete Mulder wie auf glühenden Kohlen auf die golden schwere Information.

„John!“. Miss Ellison hielt ein Blatt Papier in die Höhe. „John!“, rief sie, „Warten Sie! Das Fax ist gekommen!“

Mulder stoppte auf der Treppe. Er drehte sich um und ließ sich von Miss Ellison einholen.

„Das Fax…“, schnaufte sie etwas außer Atem, „…es ist angekommen.“

„Danke, Miss Ellison. Sie sind ein Schatz.“

Mulder ließ seine Augen über die in zwei Zeilen sehr kurz gefasste Nachricht schweben. „Scheiße!“. Er zerknüllte das Papier in seiner Hand und wollte es am liebsten seiner gleich wieder entledigen. „Verdammte Scheiße!“, fluchte er erneut. Diese Nachricht war ganz gewiss nicht das, was er erwartet hatte. Mulder legte seinen Kopf in den Nacken und atmete tief ein. Für einen Augenblick wünschte er sich, nie bei der CIA angefangen zu haben. Er wollte wegrennen; raus aus der Tür; hinaus in das weite Valley; einfach nur weg! Doch er hatte eine Aufgabe zu erfüllen und genau dieser Aufgabe wollte er sich stellen. Er steckte das Papier in seine Tasche und ging weiter die Treppe hoch. Die Sitzung war bereits im Gange.

Als Mulder den Saal betrat, hatte sein Chef Mr. Steinman gerade begonnen, seine Kollegen zu informieren. In klanglos dunklen Worten leierte er seinen Text so farblos, als hätte er über nichts Unscheinbareres zu berichten, wie über ein abgetragenes Paar alter Socken. Doch dem war ganz gewiss nicht so. Steinmans Ausdruck war eben anders, wie auch der Rest von ihm. Seine schmächtige Körperform hatte seine Frau mit modischer Kühnheit in einem dunkelbraunen Anzug zu verstecken versucht. Mit einem weißem Hemd und einer sanft orangenfarbenen Krawatte unterstrich sie dennoch außergewöhnlich geschickt das nichtvorhandene Maskuline eines den in die Kategorie unsportlich einzustufenden Antiadonis. Dank seiner Frau wirkte Steinman trotz seiner unteuren Natur geradezu charismatisch, diszipliniert und herrschaftlich. Kleider machen eben Leute; zu Steinmans Glück, denn nackt musste der 1,62 Meter kleine Mann mit seinem weit über die Stirn verlaufenden, runden Gesicht und seinem zerbrechlich wirkenden Körperbau wie ein hilfloser Knabe wirken. Nichtsdestotrotz war Steinman sehr intelligent und hatte sich mit seinen dreiundfünfzig Jahren Lebenserfahrung ein feines Gespür bei der Führung und Steuerung seiner Agenten angeeignet.

„Es gab viele Tote!“, rezensierte er.

Ein Helfer dämpfte das Licht. Ein Film wurde abgespielt. Der Ton war stumm gestellt.

Mulder erkannte den Marktplatz von Ramallah oder vielmehr das, was von ihm noch übrig war. Der Platz war mit Leichen und abgetrennten Gliedmaßen gepflastert; überall war Blut. Es war ein schrecklicher Anblick. Die grausame Szenerie war an einem Ort auf der Erde im 21. Jahrhundert Realität geworden.

„Umstehende Zeugen haben berichtet, dass für dieses Massaker israelische Soldaten verantwortlich sind!“, tönte die Stimme Steinmans dumpf. „Ich kann das nicht glauben. Es gibt hierfür auch keinerlei Beweise. Wahrscheinlicher ist, dass es sich nicht um israelische Soldaten handelte, sondern um kriminelle Attentäter. Doch wir alle wissen, wie emotional die Menschen in Palästina reagieren. Wenn einer eine Schuld am Tod von ihren Leuten hat, dann waren es in deren Augen immer die Israelis. Unsere Aufgabe wird nun sein, die wahren Attentäter zu stellen. Werden wir dies nicht schnell genug hinbekommen, wird ein Krieg den Nahen Osten in ein noch weitaus größeres Trümmerfeld verwandeln, als wir es hier sehen können. Ein Schulterschluss sympathisierender Terrorgruppen untereinander ist anzunehmen; das sich weitere Sympathisanten in einer Massenhysterie anschließen, ist sehr wahrscheinlich. Sie, meine Herren, müssen einen Krieg verhindern, indem ganze Armeen von Muslimen gegen die Juden in den Dschihad ziehen werden.“. Der Chef hielt für einen Moment inne. Er ließ den Anwesenden einen Augenblick Zeit, um die grausamen Bilder aufzunehmen und zu verarbeiten. Mit eindringlicher, monotoner Polemik fuhr er beinahe flehend fort. „Bringen wir keine Beweise für die Unschuld Israels, dann wird es auch unser Land hart treffen. Es wird schneller zu einem Flächenbrand kommen wie wir unsere Kriegsmaschinerie in den Krisenherd schicken können. Denn seien Sie sich über eins im Klaren: Amerika wird immer an der Seite der Israelis stehen. Andere Länder werden für die Gegenseite eingreifen; der aufgehetzte Mob wird schließlich mit bloßen Fäusten gegen uns kämpfen!“. Der Chef füllte kraftvoll seine Lunge mit Sauerstoff und machte in unmissverständlichen Worten deutlich: „Die Unschuld Israels ist mit allen Mitteln zu beweisen. Wir haben unseren Kollegen vom Mossad unser Wort gegeben, alles Erdenkliche hierfür zu tun. Wir werden sie bedingungslos unterstützen, mit sämtlichen uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Haben Sie mich verstanden? Nochmals: Es gilt um jeden Preis, die Unschuld Israels zu proklamieren!“. Steinmans Worte waren wie ein Schwall eisiger Luft in den Ohren seiner Agenten. Und manch einer der Zuhörer hatte das Gefühl, dass die Wahrheit bereits von der amerikanischen Regierung festgelegt worden war; es galt nur noch, sie für die Öffentlichkeit zu untermauern. Steinman raunzte: „Ich höre Ihre Vorschläge!“

Es stand schlecht um den Frieden. Seit Jahrtausenden wurde die Erde im Nahen Osten immer wieder von Blut und Leid getränkt und es sollte auch im 21. Jahrhundert keine Änderung der Geschichte geben. Die Menschen – ob Juden, Muslime oder Christen – sie alle litten unentwegt unter der tödlichen Auseinandersetzung um Macht und Land, um den alleinigen Anspruch der einzig wahren Religion anzugehören.

Das Morden ungläubiger Menschen im Namen Allahs schien für fundamentalistische Terroristen ein unbedingtes Muss, um in das ewige Paradies zu gelangen. Für diese Menschen schien morden ein Gebot zu sein, welches für wahre Gläubige ein nie wieder gut zu machendes Sakrileg bedeutete.

Die Stille im Saal war von kaltem Schauder erfüllt. Keiner wollte der erste sein, der seinen Mund öffnete, um mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit das Falsche zu sagen. Mulder drückte seinen Körper in seinen Lederstuhl. Er schlug die Hände vors Gesicht und atmete tief durch seine Finger. Der Hauch fühlte sich warm an und seine Gedanken machten für einen Augenblick eine Pause. Sein Tischnachbar lehnte sich zu ihm herüber.

„Hey John, geht es dir nicht gut?“, fragte er besorgt.

„Was?“. Mulder schreckte auf.

„Alles okay? Du siehst etwas mitgenommen aus.“

„Es geht schon.“, erwiderte er mit gedämpfter Stimme. Er versuchte Gelassenheit auszustrahlen, was ihm jedoch ausgesprochen auffällig misslang. Mulder hüstelte auf seinen Handrücken, setzte ein künstliches Lächeln auf seine Lippen und runzelte seiner Gefühle ertappt verlegen die Stirn. „Und bei dir alles senkrecht?“

„Aber sicher, sicher.“, sang Brugger mehr, als dass er sprach.

Der Chef knallte mit der flachen Hand auf den Tisch. Der Schlag hallte laut wie eine Kanonenkugel durch den Saal und katapultierte auch die Aufmerksamkeit der gedanklich ent­schweiften Zuhörer zurück in seinen Bann. „Ich sage es nochmals: Lassen Sie uns alles Erdenkliche tun, um einen kriegerischen Flächenbrand im Nahen Osten zu verhindern!“, beschwor er seine Leute wieder und wieder. Er nahm sich alle Zeit der Welt und schaute jedem Einzelnen tief in die Augen. „Ich weiß, Sie alle sind sich Ihrer Verantwortung bewusst!“

Brugger setzte sich lässig zurecht und knetete mit den Fingern seinen Mund. Er leckte sich die Lippen feucht und beschloss kurzerhand, die eingekehrte Stille im Raum zu unterbrechen. „Wer wird schon glauben, dass israelische Soldaten unschuldige Zivilisten töteten?“, fragte er den Chef mit beinahe ironischem Unterton. Doch kaum waren seine Worte verhallt, da wurde er sich dem Sinn oder vielmehr dem Unsinn seiner unwirschen Aussage schnell bewusst.

„Bereits in dieser Minute brüllen genau dies Tausende von aufgebrachten Palästinensern auf den Straßen und fordern den Dschihad, den Heiligen Krieg gegen Israel.“, antwortete Steinman wütend. Er hatte eine ausgesprochen scharfe Allergie gegenüber manch einer saloppen Aussage seiner Agenten. „Herr Mulder, setzen Sie sich sofort mit Ihrem Verbindungsmann in Kontakt. Wir müssen schnellstens wissen: Wer waren diese Attentäter? Was war ihr Motiv? Und: Wo verstecken sie sich?“

„Das wird nicht möglich sein.“, entgegnete Mulder. Er holte das Papierknäuel aus seiner Tasche, welches ihm Miss Ellison auf der Treppe nachgereicht hatte, faltete es auf und strich es glatt. Er starrte beschwörend auf die schwarzen Buchstaben, als dass sie sich in eine gute Nachricht verändern sollten, doch es war vergebens. „Er ist tot. Die Gruppe, in die ich ihn eingeschleust hatte, muss ihn enttarnt haben. Daraufhin haben sie ihm den Kopf abgeschnitten und ihn vor unser Büro in Jerusalem geworfen.“

„Diese Terroristen sind uns einen Schritt voraus.“, sagte der Chef besorgt. Er tippte aufgewühlt mit einem Kugelschreiber auf die Tischplatte. Seine Gedanken zirkulierten wie ein Wirbelsturm durch seinen Kopf, doch auch ihm fehlten plötzlich die passenden Worte. „Das ist nicht gut. Das ist verdammt nochmal nicht gut!“, erwiderte er mit leergepustetem Gehirn und versuchte einen Augenblick lang vergebens, den roten Faden wiederzufinden.

Die Tür zum Sitzungssaal riss auf. Ein junger Mann rannte direkt auf den Chef zu. Er schnaubte völlig außer Atem. Beinahe stotternd, jedoch mit lauten Worten überbrachte er die schreckliche Nachricht: „Sir! Bitte entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber der pakistanische Geheimdienst hat uns soeben gemeldet, dass in einem Militärlager Nahe Karatschi gestern Nacht ein Atomsprengkopf gestohlen wurde!“

Steinman sprang von seinem Ledersessel auf. „Gott stehe uns bei!“, stöhnte er entrüstet. Er beugte sich über die Tischplatte, stützte seinen Körper mit den Fäusten ab, zog die Luft hastig durch die Zähne und blickte fest entschlossen. „Die Zeit rinnt, der Wettlauf um den Frieden in der Welt hat begonnen! Wir müssen… nein, wir werden diesen gottverdammten Atomsprengkopf wiederfinden! Das ist ein Befehl!“, sprach Steinman unmissverständlich. Er wusste, dass er und seine Agenten zum Erfolg verdammt waren, wollten sie den Frieden auf der Welt sichern. Und Steinman ließ daran auch nicht den geringsten Zweifel aufkeimen. „Mr. Mulder: Sie fliegen sofort nach Israel! Liefern Sie mir die Attentäter, die den Anschlag in Ramallah verübt haben! – Mr. Brugger, Sie fliegen sofort nach Pakistan! Finden Sie diesen Atomsprengkopf! Für alle anderen gilt: Ich will wissen, was das Anschlagsziel der Terrorristen sein wird! Und ich will wissen: Wann!?“

 

 

 

 

7

 

Pakistan, sechs Stunden später.

 

„Wie war Ihr Flug, Sir?“

„Geil! Ich war noch nie mit Überschall unterwegs!“. Brugger grinste breit. Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und wuschelte seine kurzen Naturlocken luftig. „Nur der Helm ist unangenehm. Ich kann Ihnen sagen: Darunter schwitzen Sie wie ein Affe in der Sauna. Fahren wir direkt zum Stützpunkt?“

„Ja, Sir.“

„Da kann ich dann mit dem Soldaten reden, der den Sprengkopf gestohlen haben soll?“, fragte Brugger argwöhnisch. Er wusste nur zu genau, dass die Gesetze und die Gepflogenheiten in muslimischen Ländern nicht den amerikanischen entsprachen. Aber er hatte keine Wahl. Er musste nehmen, was ihm angeboten wurde.

„Ja, Sir.“

„Wie ist Ihr Name?“

„Ich bin Leutnant Hassan Razzin.“, antwortete er knapp. Er schaltete einen Gang runter und trieb den in die Jahre gekommenen Ford Granada eine Anhöhe hoch. Der geplagte Motor hustete wie ein Kettenraucher und spuckte dickschwarze Rußwolken aus dem Auspuff. Brugger sog die Atemluft zischend durch seine Zähne hindurch, anschließend schnalzte er mit der Zunge einen dumpfen Plopp. „Ist es noch weit?“

„Sir?“

Hinter ihnen verschmolz die Stadt Karatschi langsam mit dem Horizont, während in der Ferne voraus die Sonne erwachte. Warme, feurige Strahlen erleuchteten den Himmel und bemalten ihn bunt froh in gelb, rot und lila.

Pakistan lag an diesem frühen Morgen friedlich im Mittleren Osten wie ein schlafendes Baby im Kinderbett. Vom Hindukusch Gebirge im Norden bis zum blau schimmernden Indischen Ozean im Süden, strahlte das Land auf den unbefleckten Betrachter eine grenzenlose Ruhe und Geborgenheit aus. Der Himmel war völlig wolkenlos, die Luft zeugte eine angenehme Kühle und allmählich begannen die Vögel mit ihrem fröhlichen Gezwitscher die anderen Naturbewohner aus dem Schlaf zu singen. Hätte der Frieden auf Erden einen Vornamen gesucht, zu dieser Stunde hätte er sich Pakistan2 genannt.

Brugger beugte sich zu Razzin vor und sprach ihm über die Schulter. „Wie lange werden wir noch unterwegs sein?“

„Wir werden in etwa zwanzig Minuten eintreffen, Sir.“. Razzin holte alles aus dem klapprigen Ford Granada raus, was nur drin war. Der Motor stöhnte unter den Gaspedaltritten wie ein viel zu alter Gaul, der die Sporen in seinen Lenden zu spüren bekam. Der Dreck wirbelte aus den Spurrillen der Reifen in einer Wolke über den ungeteerten Weg und verlieh der hellmorgendlichen Taxifahrt ein old-spicy Flair, wie es Brugger aus alten John Wayne Schinken her kannte. Razzin hingegen interessierte sich nicht für amerikanischen Kitsch. Er hatte eine lange Nacht hinter sich, war nur noch müde und wollte seinen Fahrgast schnellstmöglich wieder aus seinem Wagen haben. In seiner geistigen Routine gefangen, steuerte er fahrtrunken durch die weite Prärie. Seine Konzentration war inzwischen unter den Nullpunkt abgedriftet, sein Zustand glich dem eines hypnotisierten Wachjunkys, als er sich nach einer uneinsichtigen Linkskurve plötzlich einem Hindernis aus deutschem Blech gegenübersah. Ein alter Mercedes Benz versperrte ihm die Weiterfahrt wie ein Damm dem Wasser den Weiterfluss abschnitt. Ein überdimensionierter Adrenalinschub versetzte sein Blut in Sekunden in eine einzige, mikroskopische Flutwelle und katapultierte seinen Geist in Blitzeseile auf Hochtouren. Razzin trat mit der ganzen Kraft seines Beines auf die Bremse. Mit gestreckten Armen wartete er auf den Aufschlag. Doch Widererwarten seiner eigenen Reaktion, hielt der alte Ford Granada eine Handbreit vor der Stoßstange des Mercedes.

„Puh!“, schnaufte er erleichtert.

Wasserdampf quoll unter dessen Motorhaube hervor und vernebelte die Sicht.

„Was ist da los?“, quengelte Brugger aus dem Fond. „Kann der Penner seine Kiste nicht von der Straße schieben?“

Eine dunkle Gestalt kam mit schnellen Schritten auf sie zu. Der Mann versteckte seine rechte Hand in der Innentasche seine Jacketts, so dass er Brugger deutlich zu verstehen gab er  träge eine Waffe und ward bereit, sie sogleich zu ziehen. Brugger wollte nach seiner Pistole greifen, doch die lag noch gut verstaut in seinem eilig gepackten Koffer und dieser wiederum ungreifbar im Kofferraum. „Geben Sie Gas!“, befahl er Razzin mit hastiger Stimme. „Schnell! Den Rückwärtsgang!“

Razzin drehte seinen Oberkörper rechtsseitig über die Schulter und blickte Brugger konsterniert in die Augen. „Sir?“

„Lassen Sie uns abhauen!“

Da öffnete der Mann die Beifahrertür und setzte sich ungefragt zu ihnen in den Wagen. Mit einem flinken Handschlag und für Brugger in unverständlicher Urdu-Landessprache befahl er Razzin, den liegengebliebenen Mercedes vorsichtig mit der Stoßstange von der Straße zu drängen, um ihn umfahren zu können. Er zog ein weißes Taschentuch aus der Innentasche und wischte sich erschöpft den Schweiß von der Stirn. Dann drehte sich der Mann Brugger zu.

„Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit. Sie müssen Mr. Brugger sein. Mein Name ist Abu UlHaq. Ich gehöre dem pakistanisch militärischen Abwehrdienst Inter-Services-Intelligence, kurz ISI, an.“, stellte er sich vor, lächelte mit verkniffenen Lippen und reichte Brugger über die Rückenlehne hinweg die Hand zum Gruß. „Ich sollte Sie eigentlich erst auf dem Militärstützpunkt treffen, doch leider hat die deutsche Qualitätsarbeit auch noch kein Mittel gegen verrostete, alte Kühler gefunden.“

„Wie wäre es mit einem Neuen.“, entgegnete Brugger trocken.

„Tuschée! Aber leider sind Ersatzteile in Pakistan so gut zu bekommen wie rote Rosen im Hindukusch Gebirge.“. UlHaq zuckte verstohlen mit den Schultern.

„Sie sind doch vom ISI… da sollte so ein Kühler ein Kinderspiel für Sie sein.“, reizte Brugger weiter.

„Tuschée, tuschée! Wollen Sie mich schon heute Morgen bei diesem schönen Sonnenaufgang erstechen?“, fragte UlHaq mit pakistanischer Gelassenheit. „Ist es nicht herrlich da draußen?!“. Er öffnete das Seitenfenster einen Spaltbreit. Ein frischer Windzug strömte in das Wageninnere und kühlte die Köpfe. UlHaq atmete tief ein. „Herrlich! Nicht wahr?! Fast so schön wie in Hollywood.“. Er drehte sich Brugger zu. „Natürlich ist nichts so schön wie in Hollywood. Klasse Frauen haben Sie dort, ohlala!“

Brugger hatte nach dem anstrengenden Nachtflug in einem Kampfjet keine Lust auf dieses dünne Gesülze und noch dazu vor dem Frühstück. Sein Magen knurrte. So gab er keine Antwort. Er schaute unterdessen stumm zum Fenster hinaus und verbiss sich die Zähne. Wäre dieser Scheißtyp für ihn nicht eine wichtige Kontaktperson gewesen, wären sie beide nicht in so einer alten Mühle gefangen und hätte Brugger seine Pistole am Mann gehabt, dann hätte er Mr. Kackredescheiß Abu UlHaq längst eine Kugel zwischen die Augen verpasst. Ja, Bruggers Blutzucker schien im Keller zu sein, während seine Aggressivität wie eine geschüttelte Cola-Flasche zu explodieren drohte.

„Sie reden morgens nicht viel, nicht wahr?“, flachste UlHaq. Er musterte Brugger wie dieser aus dem Fenster starrte, nickte seinen eigenen Worten leise zu, drehte sich um und verschloss für den Rest der Fahrt fest seinen Mund.

 

Auf dem Militärstützpunkt herrschte bereits reges Treiben. Eine Soldatengruppe joggte über einen Kiesweg, ein angehender Offizier parkte einen Panzer zwischen zwei Bäumen und etwas abgelegen an der Seite pinkelte ein übernächtigt aussehender Wachposten in eine Hecke. Die beiden Männer im Pfortenhäuschen lehnten ebenso lässig wie gelangweilt in ihren Stühlen. Sie griffen sich breitgrinsend mit den Händen an die Eier und kontrollierten gerade die morgendliche Spannkraft ihres nächtlich abgenützten, kleinen Mannes, als Razzin an die Schranke heran fuhr. Anfänglich bequemten sie sich nur allmählich und ließen nur widerwillig an ihre faulen Hintern Luft, doch als sie UlHaq als Beifahrer erkannten, sprangen sie wie von Taranteln gebissen auf und öffneten mit übereiliger Hast und mäuseduckendem Kopfnicken die Schranke.

UlHaq führte Brugger zu einem abseits gelegenen Gebäude. Während ihr Fußmarsch sie über weite Teile des Militärgeländes führte, erkundete Brugger mit Argusaugen die Bauten und die Lage der tief im Boden befindlichen Raketensilos. Er verglich das Abbild mit seinen Erinnerungen, die er vor gut neun Stunden mit den letzten Satellitenbildern von diesem Ort aufgefrischt hatte. Die Pakistani glaubten offensichtlich nicht einmal selbst daran, dass die Amerikaner nicht über die Militärbasis Bescheid wussten, sonst hätte UlHaq Brugger unter Garantie nicht so arglos über das Gelände geführt.

„Hier sind wir schon.“, blökte UlHaq. Er öffnete Brugger die Tür zu einem Bunker, dessen Treppen tief in die Erde hinab führten. Das blecherne Metall der Tritte plärrte unter den stampfenden Füßen der beiden Männer wie eine widerstrebend am Schwanz gezogene Katze.  Seichte fünfundzwanzig Watt Birnen versuchten vergebens, die Stufen in helles Licht zu tauchen. Es war kühl. Ein muffiger Gestank von Fäulnis und übermäßigem Kohlendioxid ließ Brugger nach Atem ringen. Er hätte den fahlen Geschmack in seinem Mund am liebsten auf den Boden gespuckt, doch seine Höflichkeit verbot es ihm. Das Gemäuer war zu einem Beet für tellergroße Schimmelflecken geworden. Die Wände waren so verdreckt, dass Brugger einen schwarzen Streifen auf seinem Hemd wiederfand, nachdem er mit dem Ellenbogen nur kurz gestreift hatte. Das Gebäude ließ jeglichen Standard an Vertrauen missen. Nicht einmal Spinnen mochten mehr darin wohnen und ihre Netze dienten längst nur noch zum Filtern des Flugstaubs. Agenten haben es auch nicht leicht! dachte Brugger und folgte UlHaq in gebührendem Abstand, während sich das Kellerverlies wie ein Labyrinth mit unzählig kleinen Kammern mehr und mehr verzweigte. Unten angekommen, flackerte eine Neonröhre und verströmte mit kurzen Lichtstößen nur wenig Helligkeit.

Als sie den Verhörraum betraten, saß bereits ein in sich eingefallener Mann auf einem kargen Holzstuhl und röchelte nach Luft. Sein hageres Gesicht war von geronnenem Blut verkrustet, seine Nase verschoben, sein Wangenfleisch fast dem Platzen nahe angeschwollen. Der Kieferknochen des Mannes war für Bruggers Begriffe mindestens zweimal gebrochen. An der linken Hand war der Stumpf seines abgetrennten Zeigefingers mit einem verfranzten Stück Stoff nur notdürftig abgebunden. Der Mann starrte apathisch auf die Kettenfesseln an seinen Handgelenken, die sich tief in sein Fleisch eingeschnitten hatten.

Brugger nahm sich einen Stuhl, setzte sich mit der Lehne zum Bauch verkehrt herum, stützte seine Ellenbogen auf und sah dem Mann endlose Sekunden in die Augen ehe er mit fester Stimme schließlich fragte: „Verstehen Sie meine Sprache?“

Der Mann saß zitternd auf seinem Stuhl und atmete in schnellen, kurzen Stößen. Er schien seinen Geist in einen Dämmerschlaf geführt zu haben, um die ihm zugeführten Schmerzen ertragen zu können. Er zog seinen triefenden Rotz die Nase hoch und verharrte mit gefalteten Händen.

„Verstehen Sie mich?“, wiederholte Brugger harsch.

„Er kann Sie sehr gut verstehen.“, antwortete UlHaq für den Mann.

„Ich frage Sie jetzt nur einmal: Wo ist der Sprengkopf?“. Brugger redete mit ruhigem, jedoch eindringlichem Tonfall.

Doch der Mann blieb stumm.

Brugger stieß ihn plötzlich mit gestreckten Fingern in die Brust. „Hey, Mann! Entweder Sie sagen mir sofort, was ich wissen will, oder ich beiße Ihnen einen Finger nach dem anderen ab und stecke Sie Ihnen in den Rachen!“

Nach einer halben Minute regungsloser Untätigkeit hob der Mann langsam den Kopf. Er riss seinen Mund weit auf. Er fauchte, jedoch nur mit der Kraft seiner Lunge, ohne seine Stimme zu benutzen. Ein Schwall Blut tropfte über sein Kinn auf sein zerrissenes T-Shirt. Dann konnte Brugger es sehen… es war gespenstisch!

Brugger betrachtete den Mann starr vor Schrecken. Er kämpfte einen Augenblick lang gegen eine aufsteigende Übelkeit, atmete mit hastig vibrierenden Nasenflügeln und verließ schließlich ohne weitere Worte den Raum.

Abu UlHaq folgte ihm. „Was ist los?“, rief er Brugger fragend nach. „Sind Sie schon fertig?“

„Sie haben den Mann gefoltert!“, fauchte dieser wie ein zorniger Löwe.

UlHaq zuckte mit den Schultern. „Schließlich wollten wir wissen, wo die Bombe ist.“, entschuldigte er sich. „Freiwillig wollte er uns nichts sagen.“

„So wie Sie den da drinnen zugerichtet haben, da hat er Ihnen doch alles gesagt, was Sie hören wollten!“

UlHaq schüttelte erhaben den Kopf. „Er hat geredet; das ist richtig. Ich war von seiner Antwort nur nicht gerade sagen wir… überzeugt.“

„Sie waren nicht überzeugt?“, bläffte Brugger entrüstet. „Was hat er Ihnen denn gesagt, dass Sie nicht gerade überzeugt hat?“

„Er hatte eine Kiste Coca-Cola unter seinem Bett versteckt. Wir wollten lediglich wissen, woher er sie hatte. Da behauptete er frech, sie noch nie gesehen zu haben. Sie müssen wissen…“, UlHaq bekundete seine Aussagen mit erhobenen Zeigefinger, „…in der Kiste war auch eine Flasche Jack Daniels Whiskey. Dieser Mann da drin ist ebenso wie ich ein sehr gläubiger Moslem; uns ist Alkohol streng untersagt.“

„Sie haben diesen Mann nur wegen einer Kiste Coca-Cola und einer Flasche Jack Daniels so zugerichtet?!“

„Nein. Wir wollten eigentlich wissen, wer die Bombe jetzt hat.“. UlHaq fühlte sich missverstanden. Er räusperte sich. „Was sollten wir tun? Ihn etwa laufen lassen? Oder hätten wir ihn etwa mit einem Blumenstrauß nach Hause zu seiner Mutter schicken sollen?“

„Es reicht!“, unterbrach Brugger ihn forsch. Er fauchte unstet: „Und… hat er Ihnen gesagt, wo die Bombe jetzt ist?“

„Nein. Das hat er uns bisweilen verheimlicht.“

„Wieso haben Sie ihm dann die Zunge herausgeschnitten?!“, schrie Brugger sich ungehalten vor Zorn seine Wut aus der Kehle, dass ihm sein Speichel wie dünner Regen aus dem Mund sprühte.

„Wir haben ihm gedroht, er hat nichts gesagt… na ja, da war dann seine Zunge eben futsch!“. UlHaq hob beide Arme in die Höhe und fächerte seinem Herzen mit flachen Händen die reine Unschuld zu. „Sollten wir etwa unsere Drohungen nicht einhalten?“

„Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass dieser arme Kerl da drinnen gar nichts mit der Sache zu tun haben könnte?“

„Das kann nicht sein.“, wiegelte UlHaq kopfschüttelnd ab. „Eine Flasche Jack Daniels ist in unserem Land viel wert.“

„Ist ein Whiskey bei Ihnen so wertvoll wie eine Atombombe?“, spottete Brugger.

UlHaq strich sich nacheinander die Augenbrauen glatt. „Möglich. Viele Menschen tun auf dieser Erde viele dumme Sachen für nichts.“

„Unfassbar!“, stöhnte Brugger. „Ich glaube das alles nicht!“

„Finden Sie es heraus. Gehen Sie wieder zu ihm rein und verhören Sie ihn weiter.“

„Können Sie mir sagen, wie ich aus diesem Mann noch Informationen herausholen soll?!“. Brugger ging einen Schritt auf UlHaq zu und hob den rechten Zeigefinger. „Falls Sie es bereits vergessen haben: Sie haben dem armen Kerl die Zunge herausgeschnitten!“

„Hey, Sie sind Amerikaner! Sie werden das schon hinbekommen.“, lächelte UlHaq. Ermunternd klopfte er Brugger auf die Schulter. „Amerikaner bekommen doch alles hin, nicht wahr? Sie schaffen das schon. Hey, Mann…“, sülzte er mit seiner schlabberig, schmierigen Visage die Kacke vom Himmel. „…ich vertraue Ihnen. Hören Sie, ich vertraue Ihnen.“

„Kann er schreiben?“, fragte Brugger.

„Nein, er ist Analphabet.“

Brugger drehte sich genervt ab und marschierte den Korridor in Richtung Ausgang.

„Wo wollen Sie jetzt schon wieder hin?“, quiekte UlHaq. „Was ist nun mit dem Verhör?“

„Vergessen Sie’s!“

„Was soll das heißen: Vergessen Sie’s?“, fragte er mit dem treuen Unschuldsblick eines falschen Katers. „Wie soll es jetzt weitergehen?“

„Was denken Sie, wie es weitergeht?“, fragte Brugger scharfeckig. „Sie wissen nicht zufällig, wo dieser arme Kerl die ach so teure Jack Daniels Flasche her haben könnte?“

UlHaq lächelte verschmitzt, ehe er seine Lippen auseinander brachte: „Da gibt es eine Nutte… ihr Fahrer besorgt den Soldaten ab und zu verschiedene Kleinigkeiten...“

„Sie lassen in dieses Militärlager mit Sicherheitsstufe 1 eine Nutte mit ihrem Fahrer rein?“, fragte Brugger mit nüchterner Verwunderung. „Wow! Echt wow!“. Brugger entfesselte sich seinem Erstaunen und meinte mit zuckenden Schultern: „Dann bringen Sie mich mal zu dem Fahrer der Nutte. Vielleicht kann der uns ja weiterhelfen. Wer weiß, vielleicht hat er ja gerade eine Atombombe im Schmugglerangebot.“

„Äh…“, stotterte UlHaq. „Da gibt es ein klitzekleines Problem…“

Brugger blieb abrupt stehen.

„Der Mann… der ist tot.“

Brugger hob abermals den Zeigefinger, sog seinen Atem mit einem Pfeifton durch seine gefletschten Zähne und starrte UlHaq tief in die Augen.

„Hören Sie, was kann denn ich dafür?“, verteidigte sich UlHaq. „Ich habe ihn nicht umgebracht.“

„Dann fahren wir zu der Nutte! Oder ist die auch bereits tot oder hat keine Zunge mehr?!“, brummte Brugger, während sein Blut von Adrenalin getrieben durch seine Adern schäumte. Es kochte regelrecht in ihm und er selbst wartete nur darauf, bis der heiße Dampf ein Auslassventil finden würde. Gnade war demjenigen geboten, der sich dann seiner Faust in den Weg stellen würde.

„Was wollen Sie bei dieser Nutte? Die weiß nichts.“, erwiderte UlHaq verdrossen.

„Haben Sie sie schon verhört?“

„Nein! Eine Nutte ist nur ungläubiger Abschaum und eine Schande für jeden aufrichtigen Moslem. Wie könnte so eine Person uns weiterhelfen?“

„Ich will dennoch mit ihr reden!“, schnaubte Brugger.

„Sie wollen was?!“. UlHaq schob seine Unterlippe über die obere und schüttelte den Kopf. „Nein, das geht nicht. Wie ich Ihnen bereits sagte: Sie ist eine Nutte…“

„Schluss jetzt!“, schnitt Brugger ihm das Wort ab. „Ich habe genug von Ihrem Gewäsch! Sie bringen mich nun sofort zu der Nutte oder ich sehe mich gezwungen, Ihrem Vorgesetzten Ihre unkooperative Verhaltensweise zu berichten!“. Brugger kam ihm so nahe, dass UlHaq seinen heißen Atem auf der Haut fühlen konnte. „Ich habe beinahe den Verdacht, Sie haben etwas zu verbergen!“

UlHaq stampfte auf der Stelle. Hätten Blicke töten können, wäre Brugger tot umgefallen. „Okay, ich bringe Sie.“, antwortete UlHaq zornig. Er senkte seinen Blick und marschierte stumm an Brugger vorbei. Die nächste halbe Stunde hatten sie nichts mehr miteinander zu bereden.

 

Es war kurz vor zehn Uhr am Vormittag. Die Rushhour war voll im Gange. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel und Brugger sehnte sich nach einer Klimaanlage. Doch einzig durch die geöffneten Wagenfenster zog ein nach Abgasen stinkender Luftzug, der nicht wirklich für eine Abkühlung sorgte.

Der tosend monotone Klang von Karatschis Straßen stülpte sich wie eine Glocke über die Stadt. Die überwiegend alten Kisten wurden von ihren Besitzern mehr durch die überfüllten Häuserschluchten geparkt als gefahren. Es war an diesem Morgen wie an jedem Morgen: ein sehr zäher Verkehrsfluss, der die Nerven der Menschen äußerst strapazierte. Manch einer hupte sekundenlang, ehe ein anderer ihm mit abwinkender Hand die Sinnlosigkeit seiner bescheuerten Huperei verdeutlichte. Alte Mofas tuckerten gefährlich nahe zwischen den Autos hindurch; rempelte mal ein Lenker an einem Blech vorbei, schien dies nicht jeden zu belasten. – Na ja, die Pakistani sind eben keine Deutschen, die ihr heiliges Blechle mehr lieb haben, als ein Karawanenführer sein Kamel. Als die Ampel auf Rot schaltete, kroch ein pulsierender Teppich geknüpft aus unzähligen Menschenköpfen über die Straße. Die Ampel wieder auf Grün, brachte Brugger mit seinen pakistanischen Gefährten nur mühsame Meter Vorteil ein.

UlHaqs Handy klingelte. Er redete in schneller, Urdu-Symphonie eine kurze Arie. „Zum Hafen!“, befahl er Razzin.

„Zum Hafen?“, wiederholte Brugger borstig, während er sich mit seinem Hemdausschnitt frische Luft zufächelte. „Was sollen wir da?“

„Vertrauen Sie mir. Sie werden überrascht sein!“

 

 

 

8

 

Eine Maus, die hastig über den heißen Teer huschte, wurde von dem schweren Stiefel eines erhitzten Soldaten tot getreten. Der kleine Kopf barste, das blutende Fellknäuel tapezierte einen purpurnen Fleck auf die Straße.

Der Hafen war abgeriegelt worden. An der Kontrollstelle zu den Piers passierte gerade ein Leichenwagen die Absperrung, die aus alten Ölfässern und einem Holzbalken provisorisch zusammengebastelt worden war. Der Fahrer fuhr in Schrittgeschwindigkeit über die mobilen Straßenkrallen hinweg, rollte an einer links liegenden Bucht langsam aus und reichte dem Soldaten bereitwillig die Papiere durch das Seitenfenster.

Razzin wurde durchgewunken.

Als Brugger den Leichenwagen musterte, traf sich für Sekundenbruchteile sein Blick mit den tiefschwarzen Augen des Beifahrers. Es schauderte ihn beim Anblick des fahlen Vollbartträgers, dessen vernarbte Gesichtshaut Brugger an einen längst vergangenen Einsatz im Irak erinnerte.

Es war vor drei Jahren, als er bei einem Sonderkommando zusammen mit Mulder den Topterrorist Achmed bei einem Feuergefecht erschossen hatte. Mulder und er hatten noch darum gefeilscht, wessen Kugeln den Schurken nun in die Hölle geschickt hätten, die seinigen oder Mulders. Doch so sehr der Mann, dessen kalte Augen Brugger wie ein Pfeil in das Herz stachen, diesem Achmed auch ähnelte, die CIA selbst war es, die den Tod Achmeds durch einen DNA-Test bestätigt hatte.

Die umstehenden Menschen verfolgten mit gelassener Gleichgültigkeit die Militäraktion, von der sie glaubten, dass es sich wieder einmal mehr um eine unangemeldete Razzia handelte. Es war seit den Anschlägen in New York am 11. September 2001 auf die Zwillingstürme des World Trade Centers keine Seltenheit, dass auf den Piers in einer unangemeldeten Sonderaktion nach Waffen und Drogen gesucht wurde. Für die Hafenarbeiter bedeutete es stets eine willkommene Pause von ihrem Knochenjob, während die Schiffseigner wie raffgierige Hyänen auf die Soldaten einredeten und versuchten, mit Bestechungsgelder die eigenen Schiffe von den unnötig neugierigen Blicken der Kontrolleure zu verschonen. Zeit war Geld; je länger ein Schiff im Hafen stand, desto mehr Dollars gingen dem Eigner verloren. Doch an diesem Tag schien alles anders. Keiner der Soldaten blinzelte auch nur mit den Augen, als ihnen die Dollarscheine unter die Nasen gehalten wurden.

Razzin stoppte den alten Ford Granada an Pier 9. Sogleich trat ein Soldat heran und öffnete Abu UlHaq die Tür.

„Sagen Sie mir endlich warum wir hierher gefahren sind und nicht zu der Nutte!“, kläffte Brugger wütend.

UlHaq ließ Bruggers Zorn arrogant über die kalte Schulter hinweg abtropfen. „Haben Sie Geduld.“, erwiderte er kurz und stieg aus. „Es wird Ihnen gefallen.“

Brugger wurde die Höflichkeit nicht zuteil, dass ihm jemand die Tür öffnete. Schließlich war er kein privilegierter Agent des ISI, sondern für die Soldaten nur ein geduldeter, direkt vom Staatsministerium zugewiesener CIA-Agent; eben einer aus dem fernen Amerika. Nicht jeder in Pakistan liebte den amerikanischen Way Of Life und schon gar nicht deren Agenten im eigenen Land. Auch Abu UlHaq war der Befehl der obersten Behörde ein unaussprechlicher Groll gewesen. Er hatte es als gläubiger Moslem nicht verstehen können, warum ihr Präsident ausgerechnet die ungläubigen Amerikaner um Hilfe bei der Wiederfindung der Bombe gebeten hatte. Er hatte damit die Kompetenz der Agenten des ISI unmissverständlich in Frage gestellt und überdeutlich unterstrichen, dass das pakistanische Volk nicht im Stande gewesen war, eine so gefährliche Bombe zu schützen. Nun würde es bald die ganze Welt von der sogenannten freien Presse des Westens erfahren, dass Pakistan zu inkompetent war, um sich alleine gegen Terroristen zu verteidigen, obwohl in Abu UlHaqs Augen der eigentliche Feind doch der Westen mit seiner egoistischen Politik war.

Das Schiff mit dem Namen »Moses« trug die israelische Flagge. Es war eine zirka 50 Meter lange Jacht mit abgedunkelten Fenstern, einem Swimmingpool, zwei Wasserbetten, einer Bar und einem Speisesaal mit einem Original Picasso-Gemälde an der Wand. Zudem war der Luxusliner ausgestattet mit einer selbstjustierenden Satellitenschüssel, einem Radar und Sonar – eigentlich nichts Außergewöhnliches, jedoch zu extravagant und zu pompös, um in Bruggers Jahreskalender »Die besten Spionageboote des Jahres« aufgenommen zu werden. Außerdem war da noch die regelrecht zur Schau getragene, israelische Flagge...

Brugger runzelte verwundert die Stirn.

UlHaq ließ den Kapitän auf das Pier führen, wo ihn bereits ein Journalistenteam erwartete. Etwas abseits hievten zwei Soldaten eine Art Truhe auf ein Podest, die den Glanz einer aus billigen Brettern notdürftig zusammengenagelten Kiste ausstrahlte.

UlHaq trat mit einem stolzen wie auch einem äußerst aggressiven Gesichtsausdruck an das Mikrofon. „Wir haben heute einen schweren Anschlag auf unser Land vereiteln können!“, fauchte er und untermalte seine grenzenlose Erregung mit geballter Faust in die Kamera. „Eine Gruppe israelischer Terroristen wollte diese Atombombe in unser Land schmuggeln, um einen verheerenden Anschlag gegen Pakistan und damit ebenso gegen den Glauben aller Muslime zu verüben!“

„Was faselt er da?!“, flüsterte Brugger sich selbst zu. Fassungslos schüttelte er den Kopf, während er sich von der rasanten Abfolge der Situation überrascht mit den Fingern die Nasenspitze sanft massierte. „Das gibt es doch nicht!“

Zwei in weiße Overalls gehüllte Männer fuchtelten unprofessionell mit einem Geigerzähler aus den Fünfzigern um die alte Kiste herum. Ein aufgeregtes Tackern übertrugen sie per Mikrophon.

„Hören Sie den Beweis!“, raunzte UlHaq tosend vor Wut. „In dieser Truhe befindet sich eine gefährliche, eine schmutzige Bombe! Tausende von unschuldigen Vätern mit ihren Söhnen sollten morgen Abend beim großen, heiligen Pilgeraufbruchsfest nach Mekka getötet werden! Nur das wohlüberlegte Handeln unserer Soldaten konnte diese schreckliche Tragödie in letzter Sekunde verhindern!“. UlHaq präsentierte seine Aufgebrachtheit mit hochrotem Kopf und fauchender Zunge. Sein Speichel spritzte wie ein Schwall Gift aus seinem Mund und sprühte einen fahlen Nebel in die Kamera. Von seinen stampfenden Beinen begleitet, hallten seine Worte wie eine Attacke zum Angriff gegen die Scheinfreunde des pakistanischen Volkes in die Ohren der Reporter und ließen keinen Zweifel daran, wie die Schlagzeilen der kommenden Nachrichtenausgaben aussehen würden: »Juden wollten Muslime morden!«

Abu UlHaq wandte sich dem Kapitän zu. Er betrachtete ihn mit hypnotischem Blick, als wollte er ihn warnen, das pakistanische Volk kein weiteres Mal zu demütigen. „Vermasseln Sie es jetzt nicht!“, flüsterte UlHaq dem Delinquenten unmissverständlich ins Ohr, ehe er die Presse und die Schaulustigen mit seinen Worten weiterfütterte. In einem Taumel blinder Euphorie der gefälligen Meute diesen Juden als Terrorboss vorgestellt, reckte UlHaq die Fäuste zum Himmel und beschwor im Namen Allahs seine eigene, ganz persönlich formulierte Gerechtigkeit. Alle Menschen sollten ebenfalls zu seiner und genau zu seiner Überzeugung gelangen: Ja, dieser Mann war der Feind! Juden sind Feinde! Bestraft sie alle!

„Sprechen Sie zu den Leuten, die Sie töten wollten! All die unschuldigen Muslime dieses Landes werden Ihnen zuhören, wenn Sie ihnen erklären, warum sie sterben sollten!“, fauchte UlHaq und spuckte dem Mann vor die Füße. „Sie Abschaum von einem unehrenwerten Mann! Nun reden Sie endlich!“

„Ich…“, stotterte dieser, „…ich bin Jude und ich spucke auf euch Muslime.“.

Die versammelte Menge erstarrte. Ein bestürztes Raunen zog sich bei den Worten des Juden durch die Reihen und jeder einzelne verspürte in dieser Sekunde den Hass über Israel in sich aufkochen.

„Woher hatten Sie diese schmutzige Bombe?! Reden Sie schon!“

„Israelische Soldaten hatten das Ding auf mein Schiff gebracht.“, flüsterte der Mann verängstigt in das Mikrophon.

UlHaq holte mit der flachen Hand weit aus und schlug dem vermeintlichen Juden mit voller Wucht ins Gesicht. „Wir haben genug gehört! Führen Sie dieses Schwein ab!“, befahl er seinen Männern. Er wandte sich den Menschen zu und sprach mit langsamer und dunkler Stimme ohne weitere Umschweife: „Jeder, der versucht, auch nur einen Moslem zu töten muss wissen, dass er dafür mit dem eigenen Tod bezahlen wird!“

Die Menschen am Pier waren verstummt. Der Schock saß tief in ihren Gliedern. Niemand hatte bis dato auch nur einen Funken eines Gedankens daran verschwendet, dass Israel dem Land Pakistan feindselig gestimmt hätte sein können. War der pakistanische Präsident doch ein direkter Freund vom amerikanischen Präsidenten und dieser wiederum der beste Freund der Israelis. Die sich nun neu dargebotene Situation zwischen Muslime und Juden wirkte unheimlich auf die Menschen. Sie verspürten Angst. Eine Angst untermauert von Unsicherheit. Wollten die Juden gar in den Krieg gegen ihr Volk ziehen? Wenn ja: warum? Was hatte Pakistan den Juden nur angetan? Die Menschen fanden darauf einfach keine Erklärung…

„Unglaublich!“, fluchte Brugger leise. „Dieses Schwein UlHaq beschuldigt die Israelis die scheiß Bombe ins Land gebracht zu haben! Das wird ein Nachspiel haben!“. Er fletschte unbemerkt seiner Sinne die Zähne, dass ein jeder zufällige Beobachter seinen Zorn sogleich bemerkt hätte. Er zog die Luft pfeifend in seinen Mund und ließ seinen boshaften Gedanken freien Lauf: Und dieser israelische Volldepp ist sich wohl nicht bewusst, dass er soeben sein Todesurteil gesprochen hat! Brugger holte eine Digitalkamera aus seiner Hosentasche, schnaubte und wandte sich schließlich verdrossen ab. Es war ihm nicht vergönnt, seiner kargen Kenntnis öffentliche Wahrheit zu verleihen und so fotografierte er alles was ihm nicht geheuer vorkam… und das war in seinen Augen verdammt viel!

Am Anlegeplatz zwei Boote weiter, parkte unterdessen der Leichenwagen neben einem Frachtschiff, das unter saudi-arabischer Flagge fuhr. Arbeiter hievten den schweren Bleisarg über die Reling. Der fahlhäutige Araber kommandierte die Männer harsch, während er die Trauer um den Toten in bemitleidenswerter Gleichgültigkeit zu erleben schien.

„Sir!“

Brugger erschrak. Er drehte sich hastig um und blickte zu seiner Verwunderung inmitten Razzins fahles Gesicht. Er atmete flach, als wäre er kurz davor zu hyperventilieren.

„Sir…“, stotterte Razzin, „…ich möchte, dass Sie wissen, dass Mustafa die Bombe nicht gestohlen hat.“

„Was meinen Sie?!“, fragte Brugger erstaunt.

„Der Soldat Mustafa, dem sie die Zunge herausgeschnitten haben… er hat die Bombe nicht gestohlen.“. Razzin schaute sich hektisch über die Schulter. Er hatte Angst, dass er beobachtet wurde, doch er konnte nichts Auffälliges erkennen, sprach jedoch mit sehr schneller Stimme weiter. „Ich hatte eine Kiste Coca-Cola und eine Flasche Jack Daniels Whiskey geschmuggelt. Ich war das. Doch keiner hat eine Bombe gestohlen; nur etwas Elektronikkram.“

„Elektronikkram? Wovon sprechen Sie?“

„Von so ein bisschen Elektronikscheiß, den die Armee eh nicht vermisst. Hey, kommen Sie… jeder schmuggelt hier ständig irgendetwas.“, antwortete Razzin verlegen. „Aber ich habe niemals Sprengstoff geschmuggelt, Sir. Niemals!“

„Aber vielleicht hatte Mustafa die Bombe gestohlen, ohne dass Sie etwas davon mitbekommen haben.“

„Wissen Sie, Mustafa ist wie ein Kind.“, Razzin kreiste mit seinem gestreckten Zeigefinger an seiner Schläfe. „Ganz bestimmt nicht. Mustafa hat ganz bestimmt nie etwas gestohlen. Dafür ist er ein zu gläubiger Moslem.“

„Okay. Als Sie dann von der gestohlenen Bombe und den bevorstehenden Durchsuchungen hörten, da hatten Sie die Kiste…“

„Ja!“, unterbrach ihn Razzin. „Da habe ich die Kiste mit dem Jack Daniels Mustafa unter das Bett geschoben. Ich bin Christ, verstehen Sie? Wenn man bei einem Christen eine Flasche Whiskey findet, dann widerspricht dies nicht meinem Glauben, doch die muslimischen Kommandanten nehmen dies zum Anlass sich brüskiert zu fühlen. Sie bestrafen die Christen, während sie bei einem von den ihrigen ein Auge zudrücken.“. Razzin pochte der Atem. „Ich konnte doch nicht ahnen, dass sie ihn beschuldigen würden, die Bombe gestohlen zu haben…“

„Und dass sie ihn foltern würden.“, sprach Brugger den Satz zu Ende.

„Mustafa hat die Bombe nicht gestohlen, das müssen diese Leute wissen. Ganz bestimmt wissen die das... und dass er nie das Gegenteil behaupten kann, da haben sie ihm einfach die Zunge herausgeschnitten.“

Brugger starrte hinüber zum Frachtschiff. Er beobachtete, wie Arbeiter den Sarg vorsichtig auf dem Deck absetzten. Der fahlhäutige Araber wischte sich die Stirn. Er schaute zu Brugger ebenso herüber, als dieser seine Digitalkamera auslöste. Sein Gesicht verformte sich zu einem dämonischen Antlitz. Ganz offensichtlich war der Araber von Bruggers Bilderflut nicht sehr angetan.

Wer bist du, Araber?! dachte Brugger, doch er konnte sich keinen Reim auf diese Fratze machen, die ihn so todwünschend anschaute.

Razzin beobachtete nervös, wie der israelische Eigner des Luxusliners abgeführt wurde. Er wechselte wieder und wieder sein Körpergewicht von Bein zu Bein, als er beinahe mitfühlend sagte: „Sie werden den Juden da ebenfalls foltern und anschließend töten.“. Er nickte seiner selbst hastig zu. „Ja… das werden diese Leute ganz bestimmt tun…“

Brugger hatte ihm nicht zugehört. Seine Gedanken verweilten noch immer bei diesem Araber, dessen Schiff und dem Sarg. Irgendetwas, so hatte er das ungetrübte Gefühl, irgendetwas stank furchtbar zum Himmel. Doch er wusste einfach nicht, weshalb seine Nase den Mief roch, ihn sein Gehirn jedoch nicht definieren konnte. „Was geht da nur vor sich?“, murmelte er leise. „Was geht da nur vor sich?!“

 

 

 

9

 

„Sind wir bald da?“, quengelte Nicole.

„Ja.“, antwortete Madawi knapp.

„Was heißt »ja«? Zwei Minuten, zehn Minuten oder eine halbe Stunde?“

Madawi wisperte mit dem Fahrer des Taxis, dann sagte er: „Wir benötigen noch etwa eine halbe Stunde, Frau Hauser.“

„Hey, was ist los?“, fragte Peter. „Alles okay mit dir?“

„Ist dir schon aufgefallen, dass…“, Nicole beobachtete mit Argusaugen den Verkehr. Sie runzelte die Stirn, formte mit ihren Lippen einen Spitzmund und sog die Luft schmatzend in den Mund.

„Was soll mir aufgefallen sein?“

„Es sind wenige Leute unterwegs.“

Peter sah zum Fenster hinaus. „Ja, mag schon sein…“. Er zuckte mit den Schultern. „Die werden um diese Zeit alle beim Abendessen sitzen.“

„Nein, da ist was im Busch!“, erwiderte Nicole harsch. „Wir sind hier mitten in Jerusalem. Wenn da einer glaubt, die Palästinenser nehmen das Massaker von Ramallah einfach so hin, dann muss derjenige ziemlich bescheuert sein.“

„Danke!“. Peter nickte gekränkt. „Aber auch ich weiß, dass Jerusalem seit jeher Brennpunkt zahlreicher Auseinandersetzungen mit unzähligen Toten ist. Und ich weiß auch, dass Jerusalem übersetzt »Stadt des Friedens« bedeutet. Und zudem weiß ich, dass auch mein Magen seit geraumer Zeit knurrt.“

„»Stadt des Friedens« – das ich nicht lache!“, schoss Nicole Peter eine Salve Wahnwitz entgegen. „Gleich höre ich noch, dass das Heilige Land der Himmel auf Erden ist. Sag mal…“, Nicole drehte sich Peter zu und schaute ihm verwundert wie zugleich entsetzt in die Augen. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass du dich auf unsere Reportagen nicht ausreichend vorbereitest. – Gott, das kann ja wohl nicht wahr sein, was du hier von dir gibst!“

„Hey, ich weiß sehr wohl Bescheid!“, verteidigte sich Peter forsch. „Du willst etwas über die Geschichte Israels wissen? Dann bitte!“

Nicole schlug die Arme übereinander und verharrte mit gespitzten Ohren. „Bitte!? Was ist nun?!“

„Das ist nicht dein Ernst?“

„Okay, ich hab schon verstanden…“, erwiderte Nicole triezend wie ein kleines Mädchen. Sie drehte ihren Kopf zur Seite und beobachtete mit gespielter Gleichgültigkeit den Verkehr. „Ich hab’s ja gleich gewusst…“

„Hey, hey, hey!“. Peter setzte sich aufrecht hin. In seinen Gedanken suchte er hastig nach etwas Verwertbarem. Das einzige, was ihm einfallen mochte, war eine auswendig gelernte Textpassage aus ihrer gemeinsamen Nahost-Schulung. Doch die wollte er nicht runterplappern. „Ich weiß was ich weiß, aber ich gebe jetzt ganz gewiss keinen Geschichtsunterricht3.“

„Schon gut. Auf Geschichte stehe ich jetzt auch nicht.“. Nicole sinnierte: „Jerusalem… in der »Stadt des Friedens« scheint der Frieden einfach nicht in den Herzen der Menschen ankommen zu wollen.“

„Tja, da hast du wohl recht.“, seufzte Peter.

Es war schon dunkel, als das Taxi vor dem Hotel »American Colony« im Ostteil von Jerusalem hielt.

„Wir treffen uns morgenfrüh um zehn hier im Hotel.“, sagte Nicole zu Madawi und stieg aus. Sie war von oben bis unten mit einer schwarzen Rußschicht bedeckt. Ihre Haare staubten, als sie sich mit den Fingern frische Luft in ihre Locken fächerte.

Peter schnappte sich seine Kamera und folgte dem rußigen Pfad ihrer Fußabdrücke. „Wie geht es deinem Arm?“, fragte er besorgt.

„Es geht schon. Wir müssen zu allererst die Aufnahmen überspielen.“

„Das werde ich auch alleine schaffen.“, entgegnete Peter. „Du wirst dich derweilen am besten von einem Arzt behandeln lassen.“

„Aber…“

„Glaube mir, die Aufnahmen kann ich auch ohne deine Hilfe an den Sender überspielen. Das ist schon okay so.“

Als die beiden Schornsteinfeger die Treppe zum Hotel hochhasteten, öffnete ihnen der Portier mit großen Augen die Tür. Doch anstatt ein Mindestmaß an Sauberkeit den Gästen des Hauses abzuverlangen, verkniff er sich jeglichen Kommentar. Nur einem Nasenrümpfen hinter dem Rücken der Sauigel konnte er nicht widerstehen.

Peter und Nicole wurden bereits erwartet. In der Chill-Out-Ecke saßen zwei Männer in Anzug und Krawatte und stierten unentwegt auf den Haupteingang, um das Journalistenduo unter keinen Umständen zu verpassen. Als die beiden dann schließlich in die Hotellobby traten, kniffen die Männer die Augen beinahe zeitgleich zu kleinen Schlitzen zusammen. Sie standen blitzschnell auf, zogen ihre Jacketts zurecht und schnitten Peter mit hastigem Schritt den Weg ab. „Mr. Morgan?“, fragte der eine, während der andere mit ausgestreckten Armen und einer leichten Kopfverbeugung Nicole mit aufdringlicher Höflichkeit zu sich her wünschte. „Und Sie sind Mrs. Hauser?“

„Ja, zumindest sind wir unter der Rußschicht zu finden.“, antwortete Nicole frech. „Wer sind Sie?“

„Wir kommen im Auftrag der israelischen Regierung. Wir sollen Sie in das Staatsministerium begleiten. Nur für ein paar Fragen; nichts weiter.“, antwortete einer der Anzugträger höflich, aber bestimmend.

Peters Kopf lief augenblicklich rot an. „Sie sind vom Mossad!“, stieß er wutentbrannt hervor.

„Es gibt keinen Grund zur Aufregung. Wir wollen Ihnen nur ein paar Fragen stellen. Nichts weiter; nur ein paar Fragen.“. Der Agent sah wenig verzückt in die verwunderten Gesichter der vorübergehenden Hotelgäste und versuchte lässig zu lächeln, was ihm allerdings äußerst misslang. Vielmehr spiegelte er das steife Abbild eines ernsten Pierrot-Clowns wider. Mit gedämpfter Stimme fuhr er fort: „Sie waren doch heute in Ramallah, nicht wahr?“

„Möglich.“, raspelte Nicoles Zunge forsch.

„Dürften wir bitte einen Blick auf Ihre Aufnahmen werfen?“

„Nein, dürfen Sie nicht.“, entgegnete Peter knapp.

Nicole hatte keine Lust, sich nach diesem beschissenen Tag mit dem Mossad zu unterhalten und drehte sich den Agenten einfach weg. Sie wollte nur noch auf ihr Zimmer, sich auf das Bett legen, vom Zimmerservice ein Thunfisch-Sandwich kommenlassen und nur noch faul die Beine hochlegen. Zumindest hatte sie dies vor, nachdem sie und Peter die Aufnahmen von Ramallah nach Deutschland überspielt hatten. Ganz und gar nicht gingen ihre Pläne konform mit dem Wunsch dieser Mossad-Agenten, die ihnen ganz offensichtlich die wertvolle Tagesarbeit zensieren wollten und ihnen im schlimmsten Fall das Band ohne Kopie ganz wegnehmen würden. Und das war am wahrscheinlichsten!

Als Peter Nicole auf das Zimmer folgen wollte, stellte sich ihm ein Agent in den Weg, während der andere mit gestreckten Arm und der flachen Hand in Richtung Hotelausgang zeigte. „Sie müssen verstehen: Unser Chef will Ihre Aufnahmen sehen und wir sollen sie ihm bringen; mit oder ohne Ihrer Zustimmung, Mr. Morgan. Sie haben die Wahl.“

„Sehen Sie nicht wie wir aussehen?!“, raunzte Nicole. „Zwanzig Minuten zum Frischmachen werden Sie uns schon geben müssen.“

„Gut, wie Sie wünschen.“

Peter wollte abermals an den Herren vorbeigehen, als ihn der Agent unwirsch am Arm festhielt. „Ich werde solange auf Ihre Kamera aufpassen.“, brummte er.

„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“, fauchte Peter brüskiert. „Ich werde Ihnen meine Kamera auf keinen Fall überlassen!“

„Ihre Kamera! Bitte!“, blökte der andere Agent dezent und hielt mit der ausgestreckten Hand Nicole davon ab, Peter zur Hilfe kommen zu können.

„Nehmen Sie sofort Ihre schmutzigen Hände von mir!“, schrie Nicole lauthals durch die Lobby, dass sämtliche Augenpaare auf sie starrten.

Der Agent zog seinen Arm zurück. „Schmutzig…“, er strich sich die Handflächen an seinem Jackett sauber, „…schmutzig sind eher Sie.“

„Eine Frechheit! Was bilden Sie sich ein!“

„Genug!“, stieß der Agent zornig aus seiner Kehle. „Es ist genug! Entweder Sie kommen sofort ohne weiteres Aufsehen mit uns oder wir verhaften Sie wegen Behinderung der Staatsgewalt. Wenn Sie Glück haben, dann bekommen Sie so in drei bis vier Wochen die Möglichkeit, mit einem Anwalt zu telefonieren! – Haben Sie das kapiert?!“

Es war für Peter schon schlimm genug, dass er als Journalist zensiert werden sollte, doch dass sich dieser kleine, schmierige Schnösel ihm nun auch noch in den Weg stellte, das war für ihn zu viel. Den Knoten im Hals dem Platzen nahe, formte er seine Hand zur Faust und war gedanklich bereits im Begriff, die Flugbahn zu berechnen, als er Nicole laut keuchen hörte.

Sie fasste sich an die Schläfe. Mit einem Mal übermannte sie ein Schwindelgefühl, das ihre Beine nur mehr wie kraftlose Stelzen umhertaumeln ließ. Nicole verlor daraufhin das Gleichgewicht, stürzte auf den Boden und schlug sich ihre Wunde erneut blutig. Ihr Herz pochte so kräftig, dass ihre Halsschlagader wie eine Raupe zu kriechen begann.

„Einen Arzt! Schnell! Wir brauchen einen Arzt!“, schrie Peter. „Geben Sie mir ihr Sakko!“

„Weshalb?“

„Ich will damit ihren Kopf höher stützen.“. Peter winkte hektisch mit der Hand. „Nun machen Sie schon oder soll ich es Ihnen ausziehen?“

Widerwillig folgte der Agent Peters Anweisungen, während er Nicoles Gesicht streng beobachtete.

 Peter knüllte das Sakko zum Verdruss des Besitzers zu einer Art Kissen zusammen. Zur Stabilisierung des Kreislaufs erhöhte er Nicoles Beine, indem er ihr seine Kamera unter die Waden legte.

„Wasser.“, bat Nicole leise. „Bitte… ein Glas Wasser.“

Peter wollte rasch aufstehen, da griff Nicole nach seinem Arm und hielt ihn zurück. „Nicht du.“, flüsterte sie und zwinkerte hastig.

„Ah ja…“, stotterte Peter anfänglich, ehe er begriff. „Holen Sie ihr gefälligst ein Glas Wasser!“, fauchte er die Agenten forsch an.

Einer von ihnen schaute sich gemächlich nach einem Kellner um; doch da war keiner. „Okay, ich hole Ihnen ein Glas Wasser.“, raunzte er schließlich und bequemte sich widerstrebend um Peters Bestellung.

„In die Eier.“, flüsterte Nicole.

„Was?“

„Tritt ihm in die Eier!“

„Ich kann dich nicht verstehen.“. Peter beugte sich tiefer zu Nicole hinunter.

„Ach geh weg!“, bellte sie und stieß Peter mit einem Armhieb beiseite. Sie streckte den Fuß und trat dem verbliebenen Agent mit aller Wucht zwischen die Beine. Dieser sackte mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden. Nicole sprang auf, setzte mit einem weiteren Tritt in die Magengegend nach und lief zum Ausgang. „Komm schon! Und nimm die Kamera mit!“. Sie rannte Hals über Kopf auf die Straße. Mit wild fuchtelnden Händen stoppte sie ein Taxi, sprang rein und noch während Peter die Wagentür schloss, wies sie den Fahrer mit harschen Worten an, endlich loszufahren.

Die Mossad-Agenten konnten lediglich noch die Rückleuchten des Taxis erkennen. Sie telefonierten aufgeregt, rannten eilig quer über die Fahrbahn und versuchten, dem Taxi den Weg nach einer Kehre abzuschneiden.

Vergebens! Nicole hatte den Fahrer scharf wenden lassen und die »Men in Black« des Mossad standen wie betröpfelte Buben im Regen. Doch plötzlich schaltete die Ampel auf Rot und die Agenten witterten erneut ihre Chance. Blitzschnell rannten sie dem Taxi hinterher. Es waren nur noch ein paar Meter zwischen ihnen.

 „Fahren Sie!“, schrie Nicole.

Der Taxifahrer zuckte nur hilflos mit den Schultern. „Miss, wir haben rot.“.

„Hundert Dollar für Sie, wenn Sie auf der Stelle losfahren!“, fauchte Nicole, während sie hastig einen Hunderter aus ihrer Tasche zog und den Schein dem Fahrer vors Gesicht hielt. „Wollen Sie sich etwas dazuverdienen oder nicht?!“. Der Taxifahrer griff nach dem Schein, doch Nicole zog ihn schnell wieder an sich. „Fahren Sie, dann bekommen Sie die Hundert Dollar! Nun machen Sie schon!“

Der Taxifahrer krallte seine Hände fest um das Lenkrad, machte seinen Hals ganz klein und gab Gas. Wie ein irrgewordener Affe preschte er quer über eine vierspurig befahrene Hauptstraße. Ohne einen Blick nach links oder nach rechts zu riskieren, fuhr er wagemutig ohne Rücksicht auf Verluste einfach drauf los. Die Motoren der kreuzenden Autos heulten schrill auf. Rauchwolken quollen aus den Radkästen, während die Reifengummis dicke, schwarze Spuren auf den Asphalt zeichneten. Eine Handbreit vor Peters Seitenfenster keilten sich zwei Wagen frontal ineinander. Keine fünf Meter weiter schleuderte eine ältere Wagenlenkerin mit ihrem Toyota-Geländewagen quer über die Straße, woraufhin ein Opel Escort in voller Fahrt in ihren Kofferraum knallte. Ein Mercedeslenker versuchte, über den Fußgängerweg dem Unfall auszuweichen. Doch mit Ungeschick lenkte er direkt auf einen Laternenmasten zu und säbelte diesen wie einen Strohhalm um. Aus dem Kühlergrill zischte eine Dampfwolke und fächerte unter dem zerbeulten Blech hervor. Unzählige Passanten irrten hysterisch über das Trümmerfeld, auf der Flucht vor dem heranrasenden Tod. Ein alter Mann schrie lautstark: „Ein Anschlag! Die Hamas tötet wieder!“, woraufhin sofort eine Welle der Panik einsetzte und die Menschen mit lautem Gebrüll in alle Richtungen wegrannten. Es war innerhalb von Sekunden ein Abbild des Schreckens über die Kreuzung hereingebrochen und niemand vermochte die Banalität zu erahnen, die der Grund für dieses Chaos gewesen war.

Der Taxifahrer hingegen hatte die Straße mit dem unvorstellbaren Glück eines Deppen schadenfrei überquert. Nicole und Peter schauten sich erschrocken wie erleichtert zugleich um. Sie sahen, wie hinter ihnen Feuerzungen aus den Autowracks aufstiegen. Sie beobachteten die wild umherirrenden Menschen, hörten ihre Schreie. Und zu ihrer egoistischen Selbstfreude konnten sie erkennen, dass die Mossad-Agenten fassungslos der ihnen dargebotenen Szenerie stehen geblieben waren und die Verfolgung aufgaben.

„Wir haben sie abgehängt!“, quiekte Nicole freudetrunken, während Peter hektisch mit dem Kopf nickte: „Ja, ja, ja! Die sind wir los!“

Dann geschah das Unerwartete. Der Taxifahrer hatte ein Dreiradauto, das ohne Licht fuhr,  nicht rechtzeitig erkennen können und rammte mit voller Wucht in dessen Seite.

Peter schlug mit dem Kopf gegen den Vordersitz. Ein fürchterlicher Schmerz bohrte sich in seine Stirn, woraufhin ihm sein Geist wie in einer Waschmaschine geschleudert jeglichen weiteren Gedanken verweigerte. Als er sich nach einem langen Augenblick aus seiner Benommenheit befreien konnte und sich nach Nicole umsah, war die bereits aus dem Taxi gesprungen.

„Komm schon!“, schrie sie noch, während sie sich bereits mit rennenden Beinen auf der Flucht befand. „Die Agenten werden gleich hier sein!“

Peter riss seine Kamera an sich. Sein Puls schlug rasend in die Höhe. Im Sprint sah er sich um und konnte sehen, wie die »Men in Black« bereits nur noch wenige Schritte vom Taxi entfernt waren.

„Hundert Dollar!“, rief ihnen der Taxifahrer wütend hinterher. „Hey Lady! Was ist mit meinen Hundert Dollar!“

In einer dunklen Seitenstraße glaubte Nicole an einen Vorteil. Es gab keine Laternen, die Licht spendeten. Stattdessen bedeckte die Nacht die Häuserschlucht unter einem tief schwarzen Mantel. Ihre von Ruß bedeckten Körper verschmolzen mit der Finsternis. Sie eilten durch eine menschenleere Gasse, ließen ihre Glieder um die Häuserecken fliegen und forderten ihre Beinmuskeln unbarmherzig dazu auf, auch noch die letzten Kraftreserven zu mobilisieren. Wären ihre klackenden Absätze nicht über die nunmehr mit Steinplatten bedeckte Erde getönt, so wären sie lautlos immer tiefer und tiefer in die Labyrinth ähnliche Altstadt von Jerusalem hineingeschwebt. Nach schier endloser Zeit hielten sie keuchend inne und verkrochen sich wie Igel in der hintersten Ecke eines Hinterhofes. Sie waren sich so nah, dass Nicoles warmer Atem Peters Ohren erhitzte. Und im Schweiße ihrer Angst belauschten sie die Nacht.

„Ich glaube wir haben sie abgehängt.“, flüsterte Nicole nach einer Weile.

„Pssst!“. Peter hatte vage in der Ferne ein Geräusch vernommen. Es klang wie ein metallisches Staksen. Es polterte; dann folgte ein leises Knurren.

Nicole suchte hinter Peters Rücken Schutz. Mit hastig kreisenden Blicken versuchte sie etwas in der Dunkelheit zu erkennen, doch es bewegte sich… nichts.

Stille.

Plötzlich huschte ein Schatten über die Gasse. Er kam direkt auf sie zu.

„Was ist das?“, fragte Nicole leise. „Etwa eine…“

„…Ratte.“, ergänzte Peter, während er erleichtert tief Luft holte. „Nichts weiter, nur eine Ratte.“. Er knurrte wie ein Hund, woraufhin das Fellbündel abkehrte und in einer Häusernische verschwand. „Ich glaube die »Men in Black« sind wir los.“

„Was machen wir jetzt?“, flüsterte Nicole. Sie stützte ihren Oberkörper mit gestreckten Armen auf der Straße auf, schüttelte mit dem Kopf, ehe sie sich schließlich total erschöpft auf die Steinplatten niederließ.

„Ist mit dir alles okay?“

„Die Wunde pocht.“, antwortete sie knapp. Sie inhalierte den nächtlich reinen Sauerstoff in ihre Lunge. „Mir ist ein wenig schwindelig, aber es geht schon.“

„Eine Ohnmacht wäre jetzt auch echt schlecht.“

„Danke für dein Mitgefühl. – Männer!“, stöhnte Nicole leise. „Ich ruf Madawi an. Vielleicht hat der eine Idee, wo wir jetzt noch die Aufnahmen nach Deutschland überspielen können. Ins Hotel können wir jedenfalls nicht mehr zurück.“

Die Nacht war klar und rein. Bei stolzen 28°C kurz vor 23 Uhr hauchte ein lauer Wüstenwind durch die Gassen und föhnte dabei die frisch gewaschenen Kleider der Menschen, die an zwischen den Häusern gespannten Seilen hin und her wippten. Es roch nach Seife. Ein Frühlingsduft wie eine blühende Wiese lag wie ein unsichtbarer Nebel in der Luft.

„Wir sollen zum Fernsehsender Al-Jaz gehen.“. Nicole schüttelte ihre Gliedmaßen aus und befreite sich so von ihrer Schlaffheit. Sie fühlte, wie die Kraft in ihren Körper langsam zurückkehrte und sich ihr Kreislauf wieder stabilisierte. „Das Büro befindet sich im Muslimischen Viertel im Nordosten der Altstadt. Er wird auch hinkommen.“

„Okay, gehen wir.“, krächzte Peters Stimme rau. Er räusperte sich und schaute sich verstohlen um. „Wo geht’s lang?“

„Scheiße; was weiß ich?!“

„Alles gut.“. Er hob sanft die flachen Hände und ließ sie beruhigend in Richtung Boden sinken. „Lass mich mal sehen…“. Peter versuchte mit Logik ihren Aufenthaltsort auf der wagen Straßenkarte vor seinem inneren Auge zu finden. Er sah sich um und erkundete aufmerksam die unmittelbare Umgebung nach Denkmälern, heiligen Gebäuden und nach öffentlichen Plätzen. „Da lang.“. Die unzähligen Lichter, die an den Berghügeln wie funkelnde Stecknadelköpfe hell über die Nacht erstrahlten, versuchte er ebenfalls einem Stadtteil zuzuordnen.

Doch seine Müh trug für Nicoles Begriffe keine Früchte. Frustriert fragte sie nach einer Weile: „Hast du eigentlich einen Plan wohin wir gehen? Ich habe so das Gefühl, dass du eigentlich keinen Plan hast, wo wir hier sind.“

„Sorry, aber die Menschen in den Häusern hier schlafen schon, da können wir niemanden fragen. Wir gehen einfach weiter in diese Richtung und nehmen uns an der nächsten Hauptverkehrsstraße ein Taxi.“, bläffte Peter. „Das ist doch ein guter Plan, oder etwa nicht?“

„Wahllos in eine Richtung gehen… das ist also dein ganzer Plan.“, wiederholte Nicole Peters Worte mit weitaus weniger Begeisterung als ihr Kollege seine Idee präsentiert hatte. „Und für so einen Schwachsinnsplan irre ich dir jetzt schon eine halbe Stunde hinterher! Was glaubst du eigentlich, wie viel Einwohner hat die Stadt?“

„So etwa eine dreiviertel Million.“

„Ja, genau!“, fauchte Nicole angesäuert. „Wenn wir Pech haben, dann haben wir in diesem Labyrinth bis übermorgen noch kein Taxi gefunden.“

„Da kannst du schon recht haben.“, stimmte Peter ihr zu. „Aber vielleicht hilft uns ja ein wenig Geschichtskenntnis weiter.“

„Wie das?“

„Die Altstadt Jerusalems liegt im Nordosten der Stadt. Sie ist von einem 4.325 Meter langen Mauergürtel umgeben, den der Sultan »Suleiman der Prächtige« Anfang des 16. Jahrhunderts zum Schutz vor einem drohenden Kreuzzug von Kaiser Karl V. erbauen ließ. Es existiert voneinander abgegrenzt ein Jüdisches Viertel, ein Muslimisches Viertel, ein Armenisches und ein Christliches Viertel.“, erklärte Peter.  „Wie du richtig erkannt hast, ist die alte Downtown ein Labyrinth aus engen Gässchen, bespickt mit kleineren, freien Plätzen. Bei Tageslicht verzaubert ein Schattenspiel über ein faszinierendes Konglomerat bestehend aus unzähligen Kirchen mit ihren hohen Türmen, Moscheekuppeln mit ihren schlanken Minaretten, zerklüftete Dachterrassen, Fetzen von Gartenparzellen und dem Wirrwarr orientalischer Geschäftsschluchten…“

„Das heißt dann wohl, wir befinden uns hier in Downtown?“, fragte Nicole erwartungsvoll dazwischen.

„Ich denke ja.“, erwiderte Peter, seine eigene Aussage gleich wieder einschränkend.

Nicole klatschte sich die flache Hand auf ihre Stirn. „Du denkst. Na bravo! Hast du sonst noch etwas Geschichte auf Lager?“

„Nirgendwo auf der Welt4…“

„Hey! Hallo!“, unterbrach Nicole Peter und schüttelte ihn sanft an der Schulter. „Schön, dass du so viel weißt, doch ich will hier weg. Schon vergessen: Wir müssen zu dem Fernsehsender! Kapiert?!“

Peter hielt kurz inne, dann räusperte er sich und malte mit der Hand eine eher spärliche Wegbeschreibung in die Luft. „Also gut… da lang!“

„Wieso jetzt da lang und nicht … da lang?“, fragte Nicole mit zuckenden Schultern.

„Eben deshalb.“

„Was soll das jetzt schon wieder heißen: eben deshalb?“

„So halt.“, brummte Peter und ging mit schnellen Schritten voran.

Lichtfetzen spärlich verteilter Straßenlaternen erleuchteten nur minder wenige der unzähligen Gassen. Eine rastlose Stille umwob die Häuser, wobei lediglich in weiter Entfernung ein kaum wahrnehmbares, monotones Brummen einen Hintergrund inszenierte.

Nach langen Minuten kommunikativer Ruhephase durchschnitt Nicole das Band der Stille. „Die Menschen schlafen. Es scheint hier alles so friedlich zu sein. Was glaubst du, Peter: Ist Jerusalem bei Nacht wirklich friedlicher als am Tag?“, sinnierte sie in melancholischer Trance. „Ich meine, jede Stadt ist doch normalerweise am Tag friedlicher als bei Nacht. Doch wenn ich sehe, wie oft wir heute um unser Leben bangen mussten, dann Gnade uns Gott, wenn die Nacht noch schlimmer werden sollte als der Tag.“

„Und wir sind nur zu Besuch hier. Wie muss das für die Menschen sein, die hier leben müssen.“, antwortete ihr Peter von tiefer, innerer Bedrücktheit geleitet. „Die Kinder hier wachsen in einer Welt auf, die von Hass und Gewalt geprägt ist. Der Tod ist der Menschen ständiger Begleiter: Sei es, dass die Mütter ihre Kinder morgens zur Schule bringen, Väter zur Arbeit fahren, Teenager am Nachmittag bummeln gehen oder nur mal ebenso in einem Café sitzen und mit ihren Freunden plaudern – ständig lauert auf sie die Gefahr, von einem Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt zu werden. Für uns als Europäer ist so ein Leben unvorstellbar. Überleg mal was für ein Gefühl es wäre, wenn wir mit jedem Schritt, den wir zu Hause in Köln, Stuttgart oder in Berlin tun würden, mit der Angst leben müssten, jederzeit bei einem Selbstmordanschlag getötet zu werden.“

„Oder es kann jeden Moment an der Tür klingeln, zwei Polizisten warten bis du öffnest um dir mitzuteilen, dass dein Mann soeben vor dem Kaufhaus in Fetzen gebombt wurde, als er dir zum Hochzeitstag einen Ring kaufen wollte.“, seufzte Nicole. „Wo kommt nur dieser unmenschliche Hass her, den die Menschen hier weit ab von Europa aufeinander haben5?“. Sie wandte ihren Blick in Stille zu Gott und mochte ihn am liebsten fragen: Gefällt es dir zuzusehen, wie deine Kinder sich auf der Erde gegenseitig umbringen oder wieso schaust du nur tatenlos diesem grausamen Morden zu?

Nicole ging einige Minuten wortlos neben Peter her. Ihre Gedanken versteiften sich an den Schicksalen der Opfer der unzähligen Selbstmordanschläge. Es ist unmöglich sich seiner Tränen zu schämen, wenn man bedenkt, wie viel Leid Jerusalem in den Tausenden von Jahren seit seiner Gründung schon hat ertragen müssen. Es ist nicht zu verstehen, dass es Menschen gibt, die ihre Kinder für den Märtyrertod heranziehen und ihnen in ihre unschuldigen, kleine Köpfe einimpfen, dass sie sterben müssen, nur weil die Eltern nicht dazu bereit sind, ihnen eine lebenswerte Zukunft zu gestalten. Wie lange wird die Heilige Stadt des Friedens den Tod als seinen ständigen Begleiter denn noch ertragen müssen? Wie lange noch wird die Liebe durch den Hass unterdrückt, werden die Menschen auf dem Weg in das Paradies den Weg durch die Hölle gehen müssen? Wie lange noch? Nicole fuhr sich durch die Haare. Sie schaute von einer inneren Besinnlichkeit übermannt in den Himmel empor und konnte fühlen, wie ihr Mitgefühl für jeden einzelnen Menschen auf dieser Erde, der das Unglück in seinem Leben erfahren musste, einen Feind zu haben, in ihrem Herzen schmerzte, wie ihre Seele leise weinte.

Plötzlich wurde sie jäh aus ihren Gedanken gerissen. Ein Mann kam aus einem Hinterhof gerannt. Er strich so knapp an ihrer Seite vorbei, dass sie seinen rauchigen Atem riechen konnte. Er packte Nicole mit festem Griff von hinten am Arm und drückte ihr ein Messer in die Nieren. Mit weit aufgerissenen Augen fauchte er ihr ganz dicht in ihr Ohr: „Your money, please!“, und erschnüffelte wie ein Hund den Geruch ihrer Haare.

„Nix money!“, schrie Nicole. Und noch ehe Peter reagieren konnte, löste sie sich mit einer geschickten Drehung aus dem Griff des Mannes, schnellte mit dem Knie hoch und traf ihn haargenau zwischen den Beinen.

Der Mann krümmte sich augenblicklich vor Schmerzen. Er verdrehte wie eine Eule die Augen und jaulte wie ein Werwolf den Mond an. Mit hüpfenden Beinen wich er einem weiteren Tritt von Nicole aus und verschwand wieder so rasch in der Dunkelheit wie er gekommen war.

„Alles okay?“

„Ja.“. Nicole fasste sich an ihren verletzten Arm. Er schmerzte sie wieder. „So ein verdammtes Arschloch!“

„Wir sollten so schnell wie möglich zu dem Sender Al-Jaz. Wer weiß, was uns heute noch alles passiert!“, sagte Peter mit missmutiger Miene.

Als sie eine Anhöhe hinaufgingen und auf der anderen Seite des Hügels ein Tal von Gassen einsahen, ergriff sie eine unheilvolle Vorahnung. Sie blickten auf eine Unzahl von Männern, die fieberhaft umherrannten. Einige sammelten sich über die Via Dolorosa6. Weitere Männer formierten sich in Hinterhöfen zu kleinen Gruppen und zogen gemeinsam Richtung Norden. Aus der Ferne dröhnte ein Stimmenwirrwarr durch die Altstadt von Jerusalem. Immer noch mehr und noch mehr Männer drängten auf die Straße. Manche von ihnen hielten Fackeln in der Hand. Und aus ihren Kehlen dröhnte es wie aus einem Mund: »Allâhu Akbar! Allâhu Akbar! Tod den Juden!«

„Was geht hier vor?!“, fragte Nicole mit zitternder Stimme. „Wo wollen die alle hin?“

„Das sieht nicht gut aus.“. Peter schulterte seine Kamera und begann zu filmen. „Ich habe das Gefühl, dass das heute noch eine heiße Nacht werden wird!“

Hunderte von muslimischen Männern hatten sich am Fuße des Tempelbergs versammelt. Sie reckten die Fäuste in die Luft und brüllten lautstark immer und immer wieder im Chor: »Allâhu Akbar! Allâhu Akbar! Tod den Juden!« Eine Gruppe Jugendlicher verbrannte in Mitten der Menschenmenge eine israelische Flagge. Weiter hinten im Gewühl fraßen Flammen eine amerikanische Flagge auf. »Allâhu Akbar! Allâhu Akbar! Tod den Juden!«.

„Verdammt nochmal, das sieht wirklich nicht gut aus!“, brummte Peter, während er versuchte, möglichst viele spektakuläre Bilder auf einmal einzufangen.

„Dann sind wir hier wohl im Arabischen Viertel.“, stellte Nicole nüchtern fest. „Denkst du, der Aufmarsch hat etwas mit dem Massaker von heute Mittag in Ramallah zu tun?“

„Ganz sicher! Da würde ich meinen Kopf drauf wetten!“

Plötzlich… in Mitten der Krawalle, formten sich Nicoles Gesichtszüge zu einem kindlichen Strahlen. „Da…!“, stotterte sie anfänglich. „Da ist der Sender Al-Jaz!“, und mit Zuversicht im Herzen zeigte sie mit dem Finger auf das Gebäude. „Wir haben es geschafft!“

„Schau dort!“. Peter verstand es, ihr die Freude von einer auf die andere Sekunde wieder zu nehmen. „Da sind die beiden Typen vom Hotel!“, erwiderte er weniger verzückt.

„Welche beiden Typen?“

„Die »Men in Black« des Mossad!“, seufzte er und deutete mit seinem Kinn auf zwei finster dreinblickende Gestalten nicht mehr als Hundert Meter von ihnen entfernt. „Da hast du die CD. Du gehst jetzt da rein und regelst die Überspielung, während ich die beiden ablenke.“

Peter schulterte die Kamera, ging direkt auf die Agenten zu und filmte sie in Großaufnahme. Seine Aktion missbilligten sie mit wütenden Gesichtsfratzen. Ein Agent packte Peter mit festem Griff im Nacken, während der andere seine Hand über die Linse hielt und die Kamera mit Gewalt an sich riss. Da spürte Peter einen eisigen Schmerz ausgehend von einem Elektroschocker in seine Lenden einschießen, der sich im Bruchteil einer Sekunde in seinem Körper ausbreitete und ihn lähmte. Er biss die Zähne zusammen, während sein Kopf nur noch schreien wollte.

Ein dritter Agent musterte unterdessen den tobenden Mob. Er ließ seinen Blick hastig über die Gesichter der Menschen eilen, als er Nicole kurz vor der Tür zu Al-Jaz entdeckte.

„Da ist sie!“, schrie er lauthals. Daraufhin ließen seine Kollegen Peter wie einen Kartoffelsack fallen. Wie Bulldozer bahnten sie sich gemeinsam durch die Menge.

Nicole hatte die Türklinke bereits in der Hand, als sie abrupt stehen blieb. Sie fasste sich an die Stirn, verdrehte die Augen und sackte ohnmächtig zu Boden.

Ein Mann trennte sich blitzschnell aus der Menschenmenge. Er beugte sich über Nicoles reglosen Körper, packte sie ohne Zögern und stemmte sie über seine Schultern.

 

 

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